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Staubbedeckte afghanische Soldaten während einer Patrouille im Süden des Landes. Der Aufbau der Armee kostet Milliarden.

Foto: Reuters

Die Afghanen fürchten indes bereits jetzt, dass der US-Teilabzug 2014 die Taliban noch stärker machen könnte.

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Wer den Fehler macht, durch die Stadt rasende, vermummte Antiterroreinheiten zu fotografieren, lernt schnell, wie nervös afghanische Sicherheitskräfte sind: Ohne Diskussion müssen alle Bilder auf der Kamera gelöscht werden.

Ein ganz normaler Tag in Kabul. Es sind fast nur Regierungstruppen zu sehen. Nur vereinzelt rollen noch schwerbewaffnete US-Konvois durch die Straßen. Seit 2009 sind die Afghanen selbst für die Sicherheit in der Stadt verantwortlich, aber die Lage wird zusehends schlechter. Nach den jüngsten Attacken der Taliban gilt die Hauptstadt als nicht mehr sicher.

Dennoch ist der militärische Abzug der Amerikaner bereits voll im Gange. Präsident Barack Obama hat angekündigt, die meisten Kampftruppen bis 2014 aus dem Land abzuziehen. In acht afghanischen Provinzen hat die Nato die Verantwortung für die Sicherheit an die afghanische Armee abgegeben. Weitere Provinzen sollen folgen. Die kürzlich abgehaltene Loya Jirga hat mehrheitlich für den Verbleib von US-Basen und Truppen über 2014 hinaus gestimmt. Präsident Hamid Karzai betont, dass der kriegsmüde Westen nicht für alle Ewigkeit Afghanistans Institutionen stützen werde. Doch die afghanischen Streitkräfte haben noch einen langen Weg vor sich, um eine schlagkräftige Truppe zu werden.

Für Joseph Buccino (37) ist ausschlaggebend, wie unabhängig die afghanische Armee tatsächlich operieren kann. Er ist Major der 172. Brigade der US-Army und stationiert in einer der gefährlichsten Gegenden des Landes, der Paktika-Provinz im Südosten. Er spricht von der "Afghanisierung des Konflikts" , die Sicherheitskräfte müssten fähig sein, den Gegner ohne fremde Unterstützung zu besiegen und das Terrain zu halten. "Unser wahres Vermächtnis wird dadurch definiert, wie gut ausgebildet wir die afghanischen Truppen zurücklassen" , erklärt der Major. Im Moment hätte die US-Armee durch Truppenaufstockungen die Oberhand. Was nach dem Abzug passieren wird, will der stämmige Offizier aus New York nicht prognostizieren.

Das Ziel ist, die afghanische Armee bis 2014 auf eine Kampfstärke von 250.000 Soldaten zu bringen. Die Kosten dafür beliefen sich von 2009 bis 2011 auf mehr als 20 Milliarden US-Dollar (15 Mrd. Euro). Bei einem jährlichen BIP von 27 Mrd. Dollar wird deutlich, dass sich Kabul eine solche Armee nur durch massive ausländische Hilfe wird leisten können. Der in wenigen Wochen stattfindenden Geberkonferenz in Bonn misst man daher große Bedeutung zu. Kabul hofft auf die Spendierfreudigkeit der 91 Teilnehmerstaaten.

Doch das ist noch Zukunftsmusik. Die größte Herausforderung für die afghanische Armee ist der Nachbar Pakistan. Laut Hekmat Karzai, dem Cousin des Präsidenten und Leiter des Zentrums für Konflikt und Friedensforschung in Kabul, hat der Westen viel zu lange die Gefahr aus Pakistan ignoriert: "Wir warnten die Amerikaner bereits vor Jahren davor, dass sich die Taliban dort regruppieren. Wir wurden ignoriert!" Jetzt versuchen Briten und Amerikaner das politische Patt durch gezielte Tötungen der Talibanführung militärisch zu brechen.

Für Karzai ist die politische Komponente der gerühmten US-Auftstandsbekämpfung ein Lippenbekenntnis: "80Prozent der westlichen Bemühungen im Land sind militärisch, 20Prozent politisch. Es sollte genau umgekehrt sein" , sagt er dem Standard. Aber trotz seiner Kritik zeigt auch er sich besorgt über den Truppenabzug: "Der politische Prozess in der Friedensjirga könnte dadurch kollabieren, der Rückzug radikalere Elemente in der Taliban-Führung stärken." Lange Befürworter des Abzugs, ist Karzai nun vorsichtiger geworden: "2014 wird das entscheidende Jahr werden. Sollte Afghanistan bis dahin nicht auf eigenen Beinen stehen, wird vieles, was wir in den letzten zehn Jahren erreicht haben, wieder verlorengehen." (Franz-Stefan Gady aus Kabul/DER STANDARD, Printausgabe, 26.11.2011)