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Protestskulptur vor dem deutschen Finanzministerium. - Dort wie da agitieren Gewerkschafter und linke Sozialdemokraten gegen den Sparkurs. - Wird der Widerstand zum Bumerang? 

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Heinrich Breidenbach: "Die Lawine wächst lautlos."

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Also sparch die Finanzministerin: "Den Sozen in allen Parteien sei gesegt: Mehr Zinsen zahlen ist unsozial." - Keine Frage: Die Formulierung zeugt nicht gerade von sprachlichem Feingefühl und Diplomatie. In der Sache aber hat Maria Fekter so unrecht nicht. Halten wir ein paar Fakten fest:

Schuldenmachen ist für die Politik eine bequeme Sache. Sie muss sich mit niemandem anlegen. Strukturen, Systeme, Gewohnheiten und Privilegien, auch Steuerprivilegien, können unangetastet bleiben. Die Bürger spüren - vorerst - nur die Wohltaten. Die Lawine wächst lautlos. Bis es knallt. Wir sehen, was dann passiert oder unter dem Druck der "Märkte", die dann ruinös steigende Zinsen für Staatsanleihen verlangen, passieren muss. Dann ist Schluss mit "sozial". Dann trifft es die Schwachen. Dann wird hemmungslos privatisiert. Dann entscheiden Entsandte der "Märkte" und nicht mehr gewählte Politiker. Besonders "links" ist das nicht.

Österreich befindet sich noch in der Phase des lautlosen Wachstums der Lawine. Deshalb ist noch Spielraum für schöne Worte. Aber alleine die Zinsen, die wir für unsere Staatschulden zu bezahlen haben, belaufen sich im Jahr 2011 auf rund 7,8 Milliarden Euro. Tendenz steigend. Das ist heute schon viel mehr, als für wichtige soziale Aufgaben des Staates ausgegeben wird. Kredite kosten Geld und führen, spätestens wenn man neue Kredite zur "Refinanzierung" der alten braucht, in Abhängigkeiten von Geldgebern.

Und wer kommt eigentlich für die Zinsen auf? In Österreich vornehmlich die breite Masse als brave Zahler von Lohn-, Einkommens- und Umsatzsteuer. Und wer kassiert die Zinsen? Vornehmlich Vermögende, deren Geld in Staatsanleihen geparkt ist. Die Zinszahlungen der Staaten sind sozusagen Teil der Aufhebung der Schwerkraft des Geldes: Das Geld fließt permanent und über unzählige Kanäle nach oben. Durch die Arbeit, durch Mieten, durch steigende Grundstückspreise, durch den täglichen Konsum und eben auch durch die Zinszahlungen der Staaten. Sie sind eine milliardenschwere stille Umverteilung von unten nach oben. Besonders "links" ist auch das nicht.

Was würde eigentlich bei Einführung einer gesetzlichen Schuldenbremse passieren? Vorausgesetzt freilich, sie bleibt nicht nur Papier, wie das etwa bei den Maastricht-Verträgen der Fall war. Die realen Verhältnisse, die derzeit nur verschleiert auf die lange Schuldenbank geschoben werden, würden in aller Schärfe sichtbar werden. Es müsste neu und anders gehandelt werden. Grundsätzlich stünden dabei zwei Wege zur Auswahl: entweder die von manchen konservativen und allen neoliberalen Vertretern einer Schuldenbremse bezweckte einseitige Kürzungspolitik mit sozialen Einschnitten und dem Rückzug des Staates aus notwendigen Funktionen. Oder vernünftiges strukturelles Sparen, bessere Politik, kombiniert mit neuen Einnahmen.

"Linke", die jetzt mit vorgeblich "sozialen" Argumenten gegen die Schuldenbremse agitieren, haben in Wahrheit Angst vor dieser dann unausweichlichen Konfrontation. Sie fürchten, diese zu verlieren. Aber warum soll denn ausgemacht sein, dass der gesellschaftliche Konflikt um einen vernünftigen, effizienten und gerechten Staat ohne Schuldensackgasse von vorneherein verloren ist? Anders gefragt: Kann nur endloses Schuldenmachen einen sozialen Staat und einen, der auch antizyklische Wachstumsstrategien fahren kann, garantieren? Dann gute Nacht.

Markus Koza, ein engagierte Gewerkschafter, dem man in anderen Zusammenhängen oft zustimmen kann, hat an dieser Stelle im Rahmen einer generellen Verdammung der Schuldenbremse gemeint, eine solche würde Österreich "geradewegs ins rechte Eck manövrieren". Diese Ängstlichkeit ist angesichts des Stimmungsbildes in der Bevölkerung merkwürdig. Breite Mehrheiten wollen einen vernünftigen Mix aus strukturellem Sparen und neuen Einnahmen, auch aus Vermögenssteuern. Warum traut sich die Linke nicht zu, diese Mehrheiten politisch zur Geltung zu bringen?

Was ist denn die Alternative? Noch eine unbestimmte und wahrscheinlich sehr kurze Zeit lang den tatsächlich ungelösten gesellschaftlichen Konflikt um eine gerechte Finanzierung der Staaten auf die lange Schuldenbank schieben? Weil man irgendwann später vielleicht politisch stärker sein wird? Mitnichten, liebe Genossen! Eine "Linke", die in den Augen der Menschen mit dieser Sackgasse verbunden wird, wird dann noch schwächer sein und abgestraft werden.

Es stimmt auch, dass die "Schuldenbremse" an sich nur ein Wort ist. Selbst wenn sie in der Verfassung steht. Im Grundsatz aber wäre sie eine richtige und verantwortliche gesellschaftliche Übereinkunft. Das Wort muss halt mit Leben erfüllt und politisch gestaltet werden. Österreich kann durch strukturelle Reformen sozial verträglich bei den Ausgaben sparen und kann bei einem sehr ungleich verteilten Geldvermögen der privaten Haushalte von netto 303 Milliarden Euro (Quelle: Nationalbank) auch auf der Einnahmeseite genug holen. Es gibt genug Gestaltungsspielraum. (Heinrich Breidenbach, DER STANDARD; Print-Ausgabe, 26.11/27.11.2011)