Ziemlich ruhiger Abend im Bianca Lancia, das sich innen als eher sehr rosa entpuppt.

Bianca Lancia al Baron
Drei Gänge, Wein: 25 Euro, Übernachtung 55

 

 

Foto: Harald Fidler

Auch Fleisch kann zu frisch sein: sehr kaltes Carne Cruda

Foto: Harald Fidler

Pezzo vom Perlhuhn mit Senfsauce auf...

Foto: Harald Fidler

...Salat mit Rosinen

Foto: Harald Fidler

So eine Art Retrokäsewagen

Foto: Harald Fidler

Agnolotti al Plin mit Butter und Salbei: noch das Beste.

Foto: Harald Fidler

Hilberg hatte wieder einmal intuitiv aufs richtige Pferd gesetzt, als er meine Fressroutenvariante 3 nicht einmal ignorierte und uns nach Norden navigierte, wo man die Nahrung statt in Kalorien in PS bemisst. Hey, Hilberg, in einem kleinen Ort zwei Lokale, die der Osteriaführer mit Schnecken besonders würdigt. Und, hey, eines davon auch noch mit Zimmern - also don't drive and drink! Der Mann deutete unbeirrt nach Borgomanero. Schmecks-Leserinnen und -User wissen, dass das beileibe kein Fehler war. Und ich weiß das jetzt noch viel besser.

Schön ist anders

Es kann natürlich sein, dass Beppe Gallese nicht seinen besten Tag hatte. Es kann natürlich auch sein, dass ich nicht meinen besten Tag hatte, bis nach Calamandrana allerdings war er eigentlich sehr erfreulich verlaufen. Es ist natürlich so, dass ich Destinationen eher ungern im Dunkel kennenlerne. Und das ganz besonders, wenn Yoda auf dem Tomtom-Navi nicht nur Wortsortier-, sondern auch Orientierungsschwächen zeigt, man also eine Weile mit Kreiselgefühl durch Feldwege und Nebenstraßen gurkt, um sich dann zwar doch vor dem Lokal wiederzufinden - und damit aber auch vor einer eher industriell wirkenden Fabriksmauer. Schön ist anders.

Und das auch innen

Das Thema setzt sich immerhin im Inneren schlüssig fort: Der Kellner im Bianca Lancia al Baron ist ja noch ganz fesch und vor allem nett, der Wirt, genannt der Baron, wirkt eher gestört in seiner abendlichen Ruhe, aber der Eindruck kann täuschen wie seine Zerknautschtheit. Der Eindruck der Ruhe nicht: Das Lokal ist Donnerstagabend bis auf ein Pärchen leer, ist ja auch in the middle of at least not a lot. Um 21.15 kommen dann noch drei Menschen, die das Personal mit "Ciao" grüßen, aber sehr höflich distanziert gegengegrüßt werden. Alles ein bisschen eigen.

Mut zur Lücke

Auch das Hotel ist nicht gerade überbucht. Umso liebevoller wirkt mein Zimmer für mich ausgesucht, für das, immerhin im Nichts, 55 Euro anfallen. Nummer: 20. (lies: 205) lädt schon durch eine nonchalant fehlende Zahl zum Bleiben ein, das Thema setzt sich im Inneren mit einem fehlenden Raumtermostat neben dem Lichtschalter fort, oder was immer das Ding war, das in der nun leeren Plastikbox an der Wand war, die mit Malerband zugeklebt und wieder aufgerissen wurde - offenbar hat jemand darunter den Thermostat gesucht.

Kalt oder laut

Diesem jemand kann geholfen werden, bedingt jedenfalls: Die ziemlich ohrenbetäubende Air Condition kann man direkt am Gerät unter dem Fenster abdrehen, dann wird es zwar ruhig, aber noch kälter als ohnehin schon. Ja, Ende November schmiegt sich das Thermometer auch im sonnigen Piemont nachts schon fast an den Gefrierpunkt, und Dämmung ist offenbar noch nicht so lang ins Italienische übersetzt.

Frisch, aber frisch

Das Thema setzt sich im Inneren fort, nämlich im Inneren des Fidlers, als er sein Antipasto bekommt. Nur eines?, hatte der ungemein bemühte Kellner gestaunt, als ich nach "Carne Cruda" nicht nahtlos fortsetzte. Ich hätte womöglich dabei bleiben sollen: Dieser mein piemontesischer Liebling kam a) in zwar ausgiebiger Dimension daher, was ja noch nicht stört, aber ziemlich saukalt. Wirklich unangenehm kalt.

Carne musste draußen bleiben

Es kann natürlich an meinem mickrigen Italienisch liegen, dass ich die Empathie von Herrn Gallese nicht wirklich für mich erwärmen konnte. So jedenfalls erlebte ich die Szene: Er fragte, wie ich sein Fleisch finde, ich antworte wahrheitsgemäß, dass es gut, aber doch ziemlich kalt wäre, da erklärt er mir, dass es natürlich total frisch wäre. Hm. Wir verstehen uns nicht, und einander auch nicht, deucht mir. Oder meinte er, dass das Carne kurz vor dem Servieren noch auf vier Beinen draußen vor der Türe stehen musste?

Wirt, unfiltriert

Als er dem Pärchen von der (Groß-)Winzerei Olim Bauda vorschwärmt, frage ich ihn beim nächsten Besuch, von welcher Barbera er denn da jetzt so schwärmt, die haben ja doch ein paar, die ich auch kenne. Diese Lagen sagen ihm wiederum nichts, gibt er zu verstehen, vielleicht konnte ich sie auch einfach nicht korrekt als Rieden ausweisen. Der Baron spreche jedenfalls von einem Besonderen, Unfiltrierten, den er da bekomme. Schön für ihn.

Überhaupt, der Wein: Weinkarte gibts auch nicht, entweder Wirt oder Kellner suchen nach Vorgaben oder Einschätzung des Gastes aus, oder der geht selbst zum Weinregal. Ich weiß schon, dass Weine in Italien deutlich günstiger kalkuliert sind. Trotzdem wüsste ich gerne vorher, wie sie gerade hier kalkuliert werden - und worauf ich mich einstellen kann.

Bleiches Huhn

Auf das zweite Antipasto hätt ich lieber verzichtet: Das Stück vom Perlhuhn auf und neben wasweißichnichtallem wirkt wie ein ziemlich bleicher, ziemlich kalter, aber immerhin nicht schlechter Schinken von Federvieh, meinetwegen auch vom Perlhuhn, unter einer Senfsauce und Granatapfelkernen, auf Blattsalaten. Vielleicht eine Stimmungsfrage, vielleicht beim Wirt, vielleicht beim Gast, vielleicht bei beiden.

Dem Fidler reichts

Agnolotti al Plin mit Butter und Salbei zählen, klar, auch zu den Pflichtprogrammen im Piemont. Die hier sind durchaus in Ordnung, was man, gegenverrechnet mit der Laune, schon in der Nähe der Komplimente einordnen kann. Doch an diesem Punkt reichts mir - ein eher Besorgnis erregender Zustand im Piemont, mitten im Essen. Keine Minute zu früh, sagt mir bei einer der ersten unfreiwilligen Schlafpausen der Druck unterm Zwerchfell.

Ich sage, ich kann nicht mehr (was durchaus nicht gelogen ist). Nehme die fast volle Flasche Barbera (empfohlen: Barbera Superiore 2007 Cala delle Mandrie von La Giribaldina in Calamandra, immerhin lokal) mit nach oben, wo ich sie dann doch lieber stehen lasse. Und schwinge mich ein auf eine Nacht zwischen Völlegefühl, Airconditiongetöse und Unterkühlung.

War schon wer bei Violetta?

Ich frage mich nun: Wer verteilt in dieser Gegend die Schnecken? Und kennt er oder sie den Wirten? Die andere Schnecke in Calamandra ziert das Restaurant Violetta. Es war am selben Abend übrigens auch völlig leer. Bei der Suche hab ich auch dieses Lokal beäugt, in das ich am nächsten Abend wollte. Ich hab's ausgelassen, als ich erfuhr, dass Violetta schon gut kocht, aber halt seit 30 Jahren dasselbe, und das Beste dort wäre Fritto Misto. Hab ich schon erwähnt, dass Fritto nicht meine liebste Zubereitung ist?

Aber, kluge Userinnen und schöne Leser: War schon jemand im Violetta in Calamandra? Wie wars denn?

Zum Schluss die guten Nachrichten:

1.) Das wenig ansprechende Zimmer kostete zwar 55 Euro und die Spremuta zum inkludierten war aus dem Packerl, doch immerhin keine Schulskikursorangeade. Aber: 25 Euro für das Essen, ein unverlangtes, okayes Glas Pinot-Blanc-Brut 2006 von Sopivi und Wein sind schon okay, würde ich sagen. Wobei ichs für das Geld in Italien auch schon netter hatte.

2) Das war die beileibe unerfreulichste Erfahrung der Italienischen Speise 2011.

Hilberg irrt doch

3) Genau: Hilberg hatte dennoch nicht ganz recht, als er ganz auf Pferd setzte. Variante 5b, die Berge um Cuneo, beherbergen eine Menge schöner Lokale, auch mit Schnecken. Das eine oder andere kann ich besten Gewissens empfehlen. Mehr demnächst hier.