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Trotz Audienz beim Papst: Pater Maciel führte laut Vatikan ein "gewissenloses Leben ohne echte religiöse Gesinnung" - festgestellt allerdings erst nach seinem Tod.

Foto: AP/Plinio Lepri

Ist es Hohn? Oder der Beginn einer allmählichen Geschichtsfälschung? Der Papst erklärte nämlich vergangene Woche beim Ad-Limina-Besuch der amerikanischen Bischöfe, die Kirche sei in Sachen Missbrauchsbekämpfung ein Vorbild für die Gesellschaft (26.11.2011).

Noch wenige Tage zuvor hatte der römische Pontifex den vorzeitigen Rücktritt des nordirischen Bischofs Seamus Hegarty angenommen. Seit 2010 steht dieser wegen des Umgangs mit Verdachtsfällen in Sachen Missbrauch unter Druck. Als Rücktrittsgrund wurden aber ausschließlich eine "unheilbare und fortgeschrittene" Krankheit geltend gemacht (23.11.2011). Das kennen wir doch: Auch Kardinal Groers Rücktritt erfolgte offiziell aus Altersgründen. (So viel zum Thema ehrlicher Umgang!)

Eine weiter zweifelhafte „Jubelmeldung" wurde kürzlich lanciert: Die Legionäre Christi orientieren sich, ist die Kathpress stolz, am österreichischen Modell (28.10.2011.) Das Groer-Land ist bei der Opferentschädigung eben etwas weiter.

Zur Erinnerung: Die 1941 gegründeten Legionäre Christi müssen den Missbrauchsskandal ihres Gründers Pater Marcial Maciel Degollado aufarbeiten. Überraschender Weise war in diesem Zusammenhang in der Kathpress zu lesen: „Bereits 1999 ordnete Kardinal Joseph Ratzinger als Präfekt der Glaubenskongregation eine Untersuchung an. 2002 wurde sie abgebrochen, wobei hier Druck von engen Mitarbeitern Johannes Pauls II. eine Rolle gespielt haben dürfte." (Vorbildlich - oder?)

Erstmals seit der Papst Kardinal Schönborn jegliche Kritik an Kardinal Sodanos Vertuschung der Groer-Affäre verbat, wagt erfreulicher Weise ein offizielles kirchliches Medium (Herausgeber Bischof Kapellari) einen kritischen Blick in den Vatikan. Auch diese Offensive, die allerdings Ratzingers Historie beschönigen soll, kann nach hinten losgehen:

Zum einen taucht sie Johannes Paul II. in noch zweifelhafteres Licht. Er empfing nach der genannten Niederschlagung der Untersuchung den Oberlegionär zu dessen 60. Priesterjubiläums mit Gefolge in Sonderaudienz. Auszug aus der Papstrede: "Mein herzlicher Gruß geht vor allem an den lieben Pater Maciel, dem ich meine besten Wünsche für einen von den Gaben des Heiligen Geistes erfüllten priesterlichen Dienst ausspreche." (30. 11. 2004)

Zum anderen ist auch die Ratzingerrolle unrühmlich: Zwar ließ er kurz danach die Untersuchungen wieder aufnehmen, genehmigte aber dann - mittlerweile selbst Papst geworden - deren neuerliche Einstellung, nachdem Maciel aus Altersgründen von seinen Funktionen zurückgetreten war. (Kommt das Muster bekannt vor?).

Am 19.5.2006 gab der Pressesaal bekannt, dass von der Glaubenskongregation beschlossen worden war, "unter Berücksichtigung des fortgeschrittenen Alters des Hw. P. Maciel und auf Grund seiner angegriffenen Gesundheit, auf einen kanonischen Prozess zu verzichten und den Hochwürdigen Herrn aufzufordern, fortan ein Leben des Gebetes und der Buße zu führen und künftig auf die Ausübung jeglichen kirchlichen Amtes zu verzichten. Der Heilige Vater hat diese Entscheidung gutgeheißen."

Der strikte Aufklärungskurs Ratzingers, von dem seine Anhänger gerne sprechen, ist etwas löchrig. Man wartete den Tod des Gründers (2008) ab, erst dann, nach weiteren Untersuchungen stand am 1.5.2010 auch für den Vatikan offiziell fest: "Das sehr schwerwiegende und objektiv unmoralische Verhalten von Pater Maciel, das durch unbestreitbare Zeugenaussagen belegt ist, äußert sich bisweilen in Gestalt von wirklichen Straftaten und offenbart ein gewissenloses Leben ohne echte religiöse Gesinnung." - Wo waren jetzt "die Gaben des Heiligen Geistes" geblieben, von denen Johannes Paul II. gesprochen hatte?

Diese jämmerliche Verzögern, Verdrängen und Solange-wie-möglich-nicht-wahr-haben-wollen scheint mit einem schwerwiegenden Diagnoseproblem zusammen zu hängen. Wie schon einmal kritisiert, hat Joseph Ratzinger noch als Kardinal 2004 - in voller Kenntnis der Fälle Groer und Maciel - in einem Interview (Aachener Zeitung, 24. 3. 2004) beklagt, dass Pädophilie mit falschen Reformvorstellungen nach dem Konzil einhergegangen sei.

Auch 2011 hört sich das nicht viel anders an, wenn Benedikt XVI. bei seiner Deutschlandreise (Gebetsvigil mit den Jugendlichen) darauf hinwies: "Der Schaden der Kirche kommt nicht von ihren Gegnern, sondern von den lauen Christen." (24.9.2011).

Früher galt innerkirchlich die "böse Welt draußen" als Wurzel aller Fehler in der Kirche. Nun, da sich die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass es das Böse auch im Inneren der Kirche gibt, müssen "falsche Reformer" oder "laue Christen" die Problemverursacher sein. Wird einer wie Maciel überführt, spricht man ihm rückwirkend "echte religiöse Gesinnung" ab.

Was der Papst in seiner Fehldiagnose nicht wahrhaben will, ist, dass auch höchster oder gerade überhöhter spiritueller Eifer in Verbrechen umschlagen kann. Man kann beispielsweise Groer vieles absprechen, nicht aber seine Spiritualität! Auch von treuesten päpstlichen Mitstreitern kann Gefahr ausgehen. (Passt auch ins Bild: Diese Woche beginnt der Prozess gegen einen führenden Mitarbeiter der Gemeinschaft der Seligpreisungen. Deren Gründer hat schon Missbrauchsfälle gestanden). Es gilt auf- und herauszuarbeiten, wo die Kirche selbst Nährboden für kranke und krankmachende Mechanismen ist. Dann erst kann sie Vorbild für die Gesellschaft sein.

Die Causa Maciel dauerte in ihrem römischen Zick-Zack-Kurs zumindest zwölf Jahre. Es wurde vorsätzlich - wie im Falle Groer - verhindert, diese noch zu seinen Lebzeiten zu klären.

Man nahm den Opfern damit auch eine Möglichkeit der immateriellen Entschädigung: Die Entschuldigung des Täters. Und man nahm dem Täter die Chance auf eine späte Einsicht. Die gibt es, wie der Aufsehen erregende Prozess um die Keller-Tragödie in Amstetten zeigte (2009).

Eine Psychologin berichtete, dass erst eine Videoaussage des Opfers dem Täter "erstmals kein Entkommen zu einer anderen Sichtweise gab." Darin sei die Ursache für das unerwartete umfassende Geständnis des Mannes zu sämtlichen Anklagepunkten gelegen.

Der Papst nahm in der eingangs zitierten Rede sogar das Wort vom transparenten Umgang in den Mund genommen. Da passt doch der wiederkehrende Abschluss dieses Blogs ideal:

Im Übrigen bin ich der Meinung, dass die Verantwortung der Päpste und des Vatikans am internationalen Missbrauchsskandal geklärt werden muss. Der derzeitige Papst hat bisher lediglich zur Schuld einzelner Priester und Bischöfe Stellung genommen. Zu den Vorgängen innerhalb der vatikanischen Mauern fand er kein Wort. Benedikts beharrliches Schweigen dazu macht ihn als Papst unglaubwürdig. (derStandard.at, 28.11.2011)