Wien - Ein Konzert von Alfred Brendel ist ein säkulares, und doch auch stets munteres Hochamt des Klassischen - er selbst kann als der liebenswert kauzige Lordsiegelbewahrer des Schönen, Wahren und Guten im Königreich von Ebenholz und Elfenbein bezeichnet werden.

Bei seinem diesjährigen Recital an der Wiener Lothringerstraße (Brendel geht mittlerweile in seine 54. Konzerthaus-Saison) hieß es erst einmal in Ohnmacht fallende Zuhörerinnen wie auch das Handygeklingel des soignierten Kollegen zwei Plätze weiter links zu überstehen, bis man sich Brendels luzidem Spiel - konkret: ausgewählten Bagatellen und Rondos Ludwig van Beethovens sowie Mozarts A-Dur Sonate K 300i - hingeben konnte.

Sanfte Hügel

Suchte man ein veranschaulichendes Bild für Alfred Brendels Musizieren, man fände jenes eines Spaziergangs durch einen mit viel Wissen und feiner Hand gepflegten englischen Garten. Crescendi erheben sich wie sanft ansteigende Hügel, melodische Linien führen gleich klar und doch elegant angelegten Wegen durch das vielgestaltige Terrain. Und die verschiedenen Themen darf man sich als Enkelkinder denken, die vom großväterlichen Flaneur sanft-liebend an der Wange gestreichelt werden und ihn glücklich des Weges begleiten, mal nah, mal fern.

Zum "letzten Pianisten der bürgerlichen Utopie" hat die Süddeutsche Zeitung Alfred Brendel zu seinem runden Geburtstag vor zwei Jahren ausgerufen - im ersten Teil seines Recitals konnte es einem allerdings der kardinalen bürgerlichen Tugend, des Maßhaltens, mitunter etwas zu viel werden.

Enger Rahmen

Selten, dass Brendel die Mezzoforte-Marke überschritt; Dynamik, Agogik, Phrasierung und Tempo kommunizierten bei ihm zwar in idealer Weise, blieben aber doch in einem allzu engen Rahmen: im Stickrahmen. Dramatischer dann Schuberts C-Dur Sonate D 840, die "Reliquie"; hier litt man zwar etwas an dem doch etwas stumpfen Klang des Steinway bei den dynamischen Ausbrüchen, aber egal, Hauptsache endlich laut.

Eine technisch brillante, dem Huschenden huldigende B-Dur-Sonate op. 22 von Ludwig van Beethoven beschloss das Programm; nach einer stupend dargebotenen Zugabe applaudierte das Konzerthauspublikum begeistert sowie stehend. (DER STANDARD, Printausgabe, 3.6.2003)