In der Geschichte der Medizin hat man sich nicht gerade überschlagen, exakte Studien über Frauen, deren körperliche Reaktionen und Lustempfinden durchzuführen. Die Auswirkungen dieser Einstellung sind auch in einem Artikel des British Medical Journal vom Jänner 2003 nachzulesen, in dem der Wissenschaftsjournalist Ray Moyhihan der Pharmaindustrie vorwirft, das "Krankheitsbild" der Female Sexual Dysfunction (FSD), des gestörten Lustempfindens von Frauen, aus niederen Profitmotiven zum Forschungsgebiet zu machen.
Nur müsse man mit der Entwicklung fast bei null beginnen, da es kaum gesicherte Basisdaten über die physiologischen Abläufe im Frauenkörper gebe, auf denen man aufbauen könne. Bis vor wenigen Jahren beschränkte sich Frauensexualforschung weitgehend auf Gynäkologie und Geburtshilfe sowie auf die psychosozialen Aspekte von sexuellem Verhalten, was nicht voneinander zu trennen ist.
Aufklärung darüber, welche Mechanismen im Körper von Frauen bei sexueller Erregung in Gang gesetzt werden, erhofft man sich unter anderem von den Studien der Urologin und Chirurgin Jennifer Berman aus Los Angeles, die gemeinsam mit ihrer Schwester Lauren, Psychologin, seit einigen Jahren umfassende Untersuchungen zu FSD durchführt. Mittels physikalischer Messmethoden werden Parameter wie Hormonniveau, pH-Werte in der Vagina oder Durchblutungsstärke der Vulva bei sexueller Erregung erhoben, um herauszufinden, was als "normal" zu gelten hat.
Vernetzung
Natürlich spiele die Psychologie eine wichtige Rolle, aber "mechanische" Abläufe und physiognomische Gegebenheiten dürfen keineswegs außer Acht gelassen werden, lautet der Ansatz der Berman-Schwestern. Das beginne bei Narben von Geburten oder Operationen, welche die Blutzirkulation behindern können, über Diabetes bis zu Störungen im Hormonhaushalt, die z.B. durch Medikamente verursacht werden können.
Die Erforschung des weiblichen Lustempfindens ist in der Tat eine sehr junge Disziplin, bestätigt Kym Kanaly, Gynäkolgin und Mitarbeiterin von Jennifer Berman, die auch Direktorin des Female Sexual Medicine Center der University of California in Los Angeles (UCLA) ist. Generell wisse man über die Male Sexual Dysfunction wesentlich besser Bescheid. Wenn sich Männer einer Prostataektomie unterziehen müssen, wird größte Sorgfalt darauf verwandt, schonend zu operieren, um nichts zu verletzen, das für das Funktionieren beim Sex notwendig ist. Mikrochirurgische Operationstechniken müssten auch für Eingriffe bei Frauen angewandt werden.
Neben Medizin- bzw. Psychiatriestudium haben die Berman-Schwestern zahlreiche Spezialausbildungen als Sextherapeutinnen absolviert. Laura baut derzeit in Chicago ein weiteres FSD-Zentrum auf.
Von Cosmopolitan wurden Jennifer und Laura Berman, schnittig als "Love Doctors" bezeichnet. Tatsächlich genießen sie so etwas wie Starstatus. Kein Master der US-Talk-Shows verabsäumte es, die Schwestern einzuladen. Sowohl Nachrichtenmedien wie Newsweek oder Fortune als auch Glamourmagazine wie Harper's Bazaar brachten ausführliche Geschichten über die Schwestern und ihre Arbeit, die gemeinsam mit Elisabeth Bumiller, einen US-Bestseller "For Women only" verfassten und auf dem Discovery Health Channel eine eigene Fernsehsendung haben.
Nachholbedarf