Assoziierungsabkommen
Rechtlich gesehen bezogen sich der Antrag des VfGH und das Urteil des EuGH auf einen Beschluss des durch das Assoziierungsabkommen EWG - Türkei geschaffenen Assoziationsrates aus 1980. Der EuGH befand, dass Art. 10 (1) dieses Beschlusses in den Mitgliedstaaten unmittelbar anwendbar ist und dass er der Anwendung einer nationalen Regelung wie etwa dem AK-Gesetz, das türkische Arbeitnehmer vom passiven Wahlrecht in die Vollversammlung ausschließt, entgegensteht.
In der entscheidenden Frage der Zulassung türkischer Arbeitnehmer muss der VfGH dem EuGH nun folgen. Ob die dem Antrag zugrunde liegende Vorarlberger AK-Wahl von 1999 auch aufgehoben wird, hängt allerdings auch noch von anderen Voraussetzungen ab, weil neben der nachgewiesenen Rechtswidrigkeit auch der Einfluss auf das Wahlergebnis geprüft werden muss.
Wahlaufhebung
Passiert der behördliche Fehler - die Hauptwahlbehörde strich fünf türkische Arbeitnehmer vom Wahlvorschlag, die Sozialministerin als letztinstanzliche Behörde befand das für rechtmäßig - aber in einem so frühen Stadium wie bei der Prüfung und Zulassung der Wahlvorschläge, dann ist die Aufhebung der Wahl kaum zu vermeiden. Der VfGH wird demnach in seiner Junisession das anhängige Verfahren zu Ende führen können und die Vorarlberger AK-Wahl von 1999 wahrscheinlich aufheben.
Über den Anlassfall hinaus hat die neue EuGH-Judikatur aber eine maßgebliche Bedeutung für die österreichische Rechtsordnung, die sogar in die Verfassungssphäre reicht. Denn Art. 3 Staatsgrundgesetz beschränkt die Wahl zu öffentlichen Ämtern auf österreichische Staatsbürger. Im Zuge des EU-Beitritts dürfen nicht-österreichische Unionsbürger nur in Ausnahmefällen von der Ernennung in öffentliche Ämter ausgeschlossen werden, wie etwa in Geheimdiensten, Staatspolizei, Militär oder obersten Organen.
Keine Rechtfertigung gibt es aber mehr für den Ausschluss von der Mitwirkung an der "klassischen" Hoheitsverwaltung. Der Verfassungskonvent wird daher gut beraten sein, dem Parlament die Anpassung dieser teilweise obsoleten Regelung der Bundesverfassung an das EU-Recht vorzuschlagen - nicht nur was den EG-Vertrag und die zu Art. 49 ergangene Verordnung 1612/86 über die Freizügigkeit der EU-Arbeitnehmer betrifft, sondern auch das für türkische Arbeitnehmer maßgebliche Assoziationsabkommen.
Hoheitsverwaltung
Dass der EuGH das Diskriminierungsverbot türkischer Arbeitnehmer am Arbeitsplatz auch auf die Kandidatur zu den AK-Wahlen bezieht, kam für Experten überraschend. Denn selbst in der zu Art. 49 EG-Vertrag (der die Arbeitnehmerfreizügigkeit beinhaltet) ergangenen und hier nicht angewendeten Verordnung 1612/86 heißt es ausdrücklich, dass nur die Ausübung gewerkschaftlicher Rechte einschließlich des Wahlrechts sowie des Zugangs zu Gewerkschaftsfunktionen für alle EU-Bürger zu öffnen ist.
Dagegen können nach Art. 8 dieser Verordnung Ausländer von "Körperschaften öffentlichen Rechts und der Ausübung eines öffentlich-rechtlichen Amtes" ausgeschlossen werden. Nun sind Arbeiterkammern - anders als die im ÖGB in Vereinsform organisierten Gewerkschaften - unzweifelhaft solche Körperschaften. Sie haben zumindest indirekt Anteil an der Hoheitsverwaltung, wirken doch entsendete oder gewählte AK-Organe in Behörden an Hoheitsakten mit - etwa im Kartellgericht.
Erweitertes Wahlrecht
Die unter Randzahl 91 des EuGH-Urteils gepflogene Argumentation folgt aber dieser Rechtsansicht nicht, sondern führt unter Berufung auf den Luxemburger Fall Asti I und Asti II aus, dass die mangelnde Beteiligung der luxemburgischen Berufskammern an der Ausübung hoheitlicher Befugnisse auch auf die österreichischen Arbeiterkammern übertragbar sei und diese "keinen Anteil an der Hoheitsverwaltung haben können".