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Anton Zeilinger

Foto: APA/Gindl
Wien - Stipendienangebote für junge jüdische Wissenschafter und - "solange es noch geht" - Gastprofessuren für aus Österreich von den Nationalsozialisten vertriebene Forscher regte der Wiener Experimentalphysiker Anton Zeilinger am Mittwoch bei einer Pressekonferenz anlässlich des Symposiums "Österreich und der Nationalsozialismus - Die Folgen für die wissenschaftliche und humanistische Bildung" am Donnerstag und Freitag an der Uni Wien an. "Wir sollten alles unternehmen, dass Österreich für solche Menschen wieder attraktiv wird", sagte Zeilinger als einer der Mitveranstalter des Symposiums.

Der Anlass

Der 1929 in Wien geborene und 1939 von den Nationalsozialisten als Jude aus Österreich vertriebene Medizin-Nobelpreisträger (2000) Eric Kandel hatte sich diese Tagung statt offizieller Ehrungen gewünscht, die nun von der Universität Wien und dem Institut Wiener Kreis organisiert wurde.

Mit zahlreichen prominenten Teilnehmern - neben Kandel sein Nobelpreis-Kollege Walter Kohn, der ebenfalls als Jugendlicher vor dem NS-Regime flüchten musste - biete das Symposium "spät - aber nicht zu spät - die Gelegenheit, auf die vertriebene Vernunft hinzuweisen", erklärt Tagungsorganisator Friedrich Stadler, Vorstand des Instituts für Zeitgeschichte der Uni Wien.

Hohe Vertriebenenraten

Rund 40 bis 50 Prozent aller Universitäts-Angehörigen - vom Professor bis zu den Studenten - wurden nach Angaben Stadlers 1938 von der Universität vertrieben. Genaue Daten gebe es nicht, man wisse aber von 130.000 bis 150.000 erzwungenen Emigranten, rund zehn Prozent davon seien Uni-Angehörige gewesen. "Alleine an der Medizinischen Fakultät wurden innerhalb weniger Wochen 50 Prozent der Uni-Lehrer entlassen", erklärte Kandel.

Viele der erzwungenen Emigranten seien im Ausland erfolgreich gewesen, betonte Kandel und erinnerte daran, dass aus den aus Wien Vertriebenen drei Nobelpreis-Träger hervorgegangenen sind: neben ihm selbst Walter Kohn (Chemie-Nobelpreis 1998) und Max Perutz (Chemie-Nobelpreis 1962).

"Magisches intellektuelles Klima"

Am Beginn des 20. Jahrhunderts habe in Wien ein "magisches intellektuelles Klima" geherrscht und Juden hätten einen bedeutenden Beitrag dazu geleistet, betonte Kandel. "Es wäre wundervoll, wenn dieses Zusammenwirken wieder entstehen könnte und deshalb wünsche ich mir eine blühende jüdische Gemeinde in Österreich und Wien. So könnte Wien wieder zu einem wichtigen intellektuellen Zentrum in der Welt werden."

Nur im Bewusstsein des "Cultural Exodus" könne es gelingen, eine bessere Universität, eine bessere Wissenschaftslandschaft in Österreich zu gestalten, betonte Stadler. Ziel des Symposiums sei nicht nur die Vergangenheitsbewältigung, man wolle damit auch Lehren für de Neugestaltung ziehen. Dabei gehe es nicht nur um die kognitive Aufarbeitung, sondern auch um "die moralische Dimension".

Späte Aufarbeitung

Österreich und auch die Universität Wien hätten erst sehr spät begonnen, das Thema "Wissenschaft und Nationalsozialismus" aufzuarbeiten, erklärte Rektor Georg Winckler. Für ihn ist es dabei wichtig, nicht nur die Zeit zwischen 1938 und 1945 zu betrachten, sondern auch die Jahre nach 1945. "Weil man sich die Frage stellen muss, warum man sich mit dem Thema erst so spät auseinandergesetzt hat und warum man die 'Vertriebene Vernunft' nicht wieder nach Österreich und an die Universität zurückgeholt hat."

Hier seien Versäumnisse erfolgt, für die sich die Uni Wien entschuldige. Für Winckler geht es bei dem Symposium deshalb auch darum, die "konstruierte Kontinuität, die nach 1945 erzeugt wurde, kritisch zu hinterfragen". Es gelte, die Wahrheit zu finden, und nicht, sich in Beschönigungen zu flüchten.

"Schock"

Zeilinger begründete seinen Vorschlag für Stipendien und Gastprofessuren mit dem "Schock" den er hatte, als er mit dem Physiker Victor Weisskopf, einem weiteren prominenten Wissenschafter, der aus Österreich vertrieben wurde, zusammentraf, und dieser auf die Frage, warum er nie nach Österreich zurückgekehrt sei, geantwortet hat: "Weil mich nie jemand gefragt hat." Es sei wesentlich, die unmittelbaren Erfahrungen von Menschen an die nächste Generation weiterzugeben. Denn auch er habe die Ereignisse, obwohl er davon in der Schule gehört habe, erst realisiert, als er am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston (USA) fast ständig jemand traf, der ursprünglich aus Wien kam. (APA)