In der Parlamentsdebatte vom Mittwoch haben auch Hinterbänkler zu staatstragenden Reden angesetzt: Was jetzt als Abänderungsantrag zur Pensionsreform vorliegt, ist im Detail kaum überblickbar - im Großen und Ganzen aber das, was ÖVP und FPÖ den Sozialpartnern schon angeboten haben. Da lässt es sich schön von "historischen Chancen", von "Verantwortung für die Generationen" und natürlich immer wieder von "Sicherung" und "Sicherheit" schwadronieren.

Dabei ist den Regierungsparteien ebenso wie der Opposition klar, dass das, was da bis zur nächsten Woche durch das Parlament gepeitscht werden soll, bestenfalls der Einstieg in eine komplexere Pensionsreform sein kann.

Die Budgetbegleitgesetze plus dem 121 Seiten starken Abänderungsantrag vom Mittwoch mögen zwar das richtige Prinzip - länger arbeiten - festschreiben. Und sie werden mittel- bis langfristig auch das Budget entlasten; der von der Koalition so dringend benötigte unmittelbare Effekt ist viel kleiner als ursprünglich erhofft. Aber ohne Harmonisierung ist das alles nur Stückwerk, wie der ÖGB richtig und laut (und die ÖVP ebenso richtig, aber eher kleinlaut) sagt.

Wird aber die Harmonisierung erst einmal richtig angegangen, dann dürfte die Auseinandersetzung erst richtig losgehen.

Bei all den technischen Diskussionen über Steigerungsbeiträge und Durchrechnungszeiträume, über Härtefonds und Hacklerregelungen sind nämlich die Grundsatzfragen völlig unter den Tisch gefallen. Allenfalls nebenbei ist bisher erwähnt worden, dass das Sozialversicherungssystem ziemlich willkürlich festlegt, wie pensionsrechtlich abgesicherte Lebens- und Karriereverläufe zu sein haben, um zu optimalen Pensionsleistungen zu führen.

Diese Willkür hat System. Sie dokumentiert nämlich den politischen Willen, gewisse Gruppen so und nicht anders zu behandeln. Das Alter, ab dem man in Österreich als "alt" und daher alterspensionsberechtigt gilt, ist willkürlich auf 65 Jahre festgelegt, weil man das in den Fünfzigerjahren für richtig gehalten hat (und sich die jetzige Regierung auf diese Festlegung besinnt). Genauso willkürlich könnte man dieses Alter auf 67 oder 63 Jahre fixieren. Genauso willkürlich könnte man es für bestimmte Gruppen (eher nicht für Politiker, viel berechtigter wäre es für Schwerstarbeiter) niedriger, für andere höher ansetzen.

Und dieselbe Willkür herrscht natürlich auch bei Beitragsgrundlagen, bei Beitragshöhen, bei Deckelungen und Zuschüssen. Einzig die willkürliche Festlegung, dass man Frauen ein niedrigeres Pensionsalter zubilligt, ist langfristig nicht haltbar, weil sie einem EU-Gleichheitsgebot widerspricht.

Die Annahme, dass die viel gepriesene Harmonisierung die Willkür beseitigen würde, ist naiv. Vor allem wäre das nicht sinnvoll: Die willkürliche Festlegung, wer welche sozialen Wohltaten unter welchen Voraussetzungen bekommen soll, ist der entscheidende Gestaltungsspielraum der nationalen Sozialpolitik - es ist der Wille und Gerechtigkeitssinn der jeweiligen Parlamentsmehrheit.

Vorausschauende Sozialpolitik muss schon jetzt, bevor noch ein Regierungs- oder Sozialpartnerentwurf zur Pensionsharmonisierung vorliegt, vorbauen: Welche Willkürmaßnahmen gehören ins System? Es gibt immer Gruppen, die aus mehr oder weniger sinnvollen Gründen Sonderregelungen hatten: Bauern und Hackler, Beamte und Politiker, Frauen und Gewerbetreibende. Und es gibt Gruppen, denen man Sonderregelungen gönnen würde: weil sie zum Beispiel durch viele Kinder für Nachwuchs an Beitragszahlern gesorgt haben. Oder weil sie jahrelang am Hochofen gestanden sind. Oder weil sie psychisch Kranke gepflegt haben und nun selber ausgepowert sind.

Es wäre gut für die politische Kultur, wenn solche Sonderregelungen ohne pauschalen "Privilegienverdacht" diskutiert würden. Und systematische Willkür als sozialpolitischer Gestaltungswille begriffen würde.(DER STANDARD, Printausgabe, 5.6.2003)