London/Washington/New York - "Die Vorwürfe sind völlig unwahr", wehrte sich der britische Premierminister Tony Blair am Mittwoch bei einer Sitzung des britischen Unterhauses gegen den Vorwurf, einen im September veröffentlichten Geheimdienstbericht über irakische Massenvernichtungswaffen umgeschrieben und zugespitzt zu haben. Es sei "ganz und gar unwahr", dass die Warnung, der Irak könne binnen 45 Minuten Bio-oder Chemiewaffen einsetzen, auf Geheiß der Regierung eingefügt worden sei, sagte Blair.

Die Quelle in diesem umstrittenen Punkt sei "fundiert und glaubwürdig" gewesen. Zu keiner Zeit habe es den Versuch eines Regierungsmitglieds gegeben, die Einschätzungen der Geheimdienste zu beeinflussen.

Der konservative Oppositionsführer Iain Duncan Smith warf Blair vor, die Glaubwürdigkeit seiner gesamten Regierung aufs Spiel zu setzen. "Niemand glaubt noch ein Wort von dem, was der Premier sagt", sagte er. Äußerungen des Labour-Fraktionschefs John Reid über eine angebliche Agentenintrige gegen die Regierung bezeichnete Duncan Smith als "schändlich". Blair sagte dazu in der Debatte, Reid habe nicht über die Geheimdienste generell, sondern nur über einzelne Quellen gesprochen. Die Geheimdienste insgesamt hätten "großartige Arbeit" geleistet. Blair, der mit US-Präsident George Bush von Anfang an eine Militäraktion im Irak befürwortete, war in den vergangenen Tagen zunehmend unter Druck geraten. Der Auswärtige Ausschuss des britischen Parlaments hatte Dienstagabend beschlossen, die Gründe für die britische Beteiligung am Irakkrieg zu untersuchen. Die USA und Großbritannien hatten den Irakkrieg damit begründet, der Irak besitze Massenvernichtungswaffen. Seit Kriegsende sind dort jedoch keine derartigen Waffen gefunden worden.

Der Zeitung New York Times zufolge will der Geheimdienst CIA in einer internen Untersuchung einen Bericht überprüfen, in dem dem Irak der Besitz biologischer und chemischer Waffen vorgeworfen worden war. Rund vier Wochen nach Ende der größeren Kampfhandlungen im Irak berät der Weltsicherheitsrat an diesem Donnerstag erneut über die Frage der irakischen Massenvernichtungswaffen. UN-Chefinspektor Hans Blix will sich ungeachtet der Besetzung des Landes durch amerikanische und britische Truppen für die Wiederaufnahme der Waffensuche durch UN-Inspektoren einsetzen. (APA, dpa, AFP, Reuters/DER STANDARD, Printausgabe, 5.6.2003)