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Thom Yorke

Foto: APA/epa/Yui Mok

Radiohead
Hail To The Thief
(EMI)
Ab 11. Juni

Foto: EMI
Der Sänger und kreative Kopf der Band, Thom Yorke, gibt traditionell kaum Interviews. "Er fühlt sich nicht sehr wohl dabei, deshalb bestreitet das der Rest der Band", bestätigt Ed O'Brien, der dem STANDARD für eine halbe Stunde in einem zugigen Londoner Hotel zur Verfügung steht. Er ist Gitarrist von Radiohead und personifiziert das Gegenteil des introvertierten Sängers. O'Brien ist der Buddy-Typ. Der höfliche, fast amerikanisch wirkende Jeans- und T-Shirt-Träger von nebenan. Aufmerksam wertet er manche Fragen als "interessant", und nach einer Weile hat man nicht mehr das Gefühl, ein Frage-Antwort-Interview mit einem "Star" zu bestreiten, sondern findet sich in einem Gespräch über Punk, alten Rock'n'Roll und Märchen wieder.

Der Anlass für dieses Treffen ist Hail To The Thief: eine Botschaft an George W. Bush und der Titel des dieser Tage erscheinenden, sechsten Studioalbums von Radiohead. Hat man keine Angst um die US-Fans, wenn man Bush einen Dieb nennt? O'Brien: "Nein, man sollte sich vor Augen halten, dass 180 Millionen Menschen diesen Typen nicht gewählt haben."

In den zehn Jahren seit ihrem Debüt hat sich die britische Band zu einer der erfolgreichsten Rockbands jüngeren Datums entwickelt. Und das, ohne Zugeständnisse an den Mainstream zu machen. Die beiden Vorgängeralben Kid A und Amnesiac integrierten innovativ Laptop-Musik in ihre Kompositionen und führten so zwei oftmals als weitgehend inkompatibel eingeschätzte Welten zusammen - ohne dass ihnen die Märkte zusammenbrachen und das Publikum davonlief. Ist Rock also noch ein tauglicher Begriff für das, was Radiohead machen? O'Brien: "Wir drücken uns da manchmal um eine klare Antwort, aber wir sind natürlich eine Rockband. Besonders wenn wir live spielen. Auch wenn das für manche ein 'Dirty Word' ist - wir sind, was wir sind, und unser Ausgangspunkt war immer Rockmusik. Das neue Album belegt das trotz der elektronischen Sounds wieder sehr deutlich. Schon dass die Songs viel kürzer geworden sind, ist ein Rockmerkmal."

Kid A und Amnesiac konnte man alter Diktion zufolge als Progressive Rock bezeichnen. Also Musik, die deutlich um Erweiterung bemüht war. Dabei verloren schon einige Bands die Orientierung und drifteten ins Belanglose, ins Artifizielle ab. O'Brien: "Davor haben wir keine Angst. 'Progressive' bedeutet nicht zwangsläufig die späten Pink Floyd. Die führt man zwar immer an, weil sie ein gar so tolles Negativbeispiel abgeben, aber es gab auch tolle Progressive-Bands wie etwa Can."

In dem Stück We Suck Blood überrascht Radiohead mit einem alten Chaingang-Handclap-Rhythmus. Davor reichten die Referenzen der Band kaum weiter als in die frühen 70-er Jahre.

Ist Radiohead an der Vergangenheit nicht interessiert? O'Brien: "Diese Beobachtung stimmt nur zum Teil. Natürlich hören wir Musik aus der Zeit davor. Ich liebe alten Rock'n'Roll. Das gehört für mich nach wie vor zum Intensivsten überhaupt. Thom hört gerade viel Mahalia Jackson, aber wir wollten unsere Musik nie mit bereits bestehenden Zeichen in Verbindung bringen. Auch wenn etwa die Ikonografie der Plattencover von The Smiths sehr toll und stimmig war, suchten wir Unberührtes. Deshalb war mir das Chaingang-Motiv zuerst nicht sympathisch. Es hat mir zu sehr nach Referenz geklungen."

Lässt das auf einen Zwang zum Originären schließen? O'Brien: "Zwang ist ein hartes Wort. Ich würde es den Ehrgeiz nennen, nicht so klingen zu wollen wie viele andere Bands."

Stichwort "neuer" Punk? O'Brien: "Das ist ein gutes, weil tatsächlich schlechtes Beispiel. Mein Problem mit den neuen Punkbands ist, dass die alle so sauber sind. Sie tragen adrette Haarschnitte und riechen gut. Meine Erinnerung an Punk ist da ganz anders. Punk stank und war unhöflich. Heute scheint jeder eine Dusche zu haben. So sind Revivalkulturen. Es sind oberflächliche Moden. Die Leute picken sich raus, was ihnen daran gefällt. Sie sind dann innerhalb von drei Jahren Punk, Hippie, New Waver und morgen stehen sie auf Disco. Das kann ich nicht Ernst nehmen."

Trotz der Richtung Rock gehenden Grundstimmung von Hail To The Thief prägen auch stark elektronisch gefärbte Stücke das Erscheinungsbild des Albums. Wie entscheiden Radiohead über die Ausrichtung eines Songs? O'Brien: "Thom gab uns zwei CDs. Eine hatte er am Laptop eingespielt, die andere auf der akustischen Gitarre. Wir beginnen jedes Stück als Band. Wenn wir merken, okay, so läuft's nicht, kommt der Laptop zum Einsatz. Wobei Laptop bei uns aber nie 'All Inclusive" bedeutet. Das wäre zu einfach. Die Sounds daraus sind nur Zutaten."

Egal wie Radiohead ihre Stücke anlegen, eines bleibt immer gleich. Thom Yorke's Leiderorgan. In die gepeinigt klingende Kopfstimme schleicht sich aber zunehmend Zorn, und im letzten Stück des Album, in A Wolf At The Door, überrascht er gar mit einer tiefen Sprechstimme.

Hat Yorke endlich ausgelitten? O'Brien grinst: "Wir sind halt keine Happy-Pop-Band. Thom singt viel über Sehnsüchte, Ängste und Fluchtversuche. So ist er, und darum stimmt es prinzipiell schon, dass wir uns ganz gerne selbst zerfleischen. A Wolf At The Door ist ein Märchenstück. Wir mögen Märchen wegen ihrer starken Bilder. Sie rütteln unsere Vorstellungskraft wach, sind etwas sehr Archetypisches und ein Versuch von uns, einer Welt der vorgefertigten Bilder, Logos und Images etwas entgegenzusetzen." Yorke leidet also noch? "Ja, aber man muss sich keine Sorgen um ihn machen." (DER STANDARD, Printausgabe, 6.6.2003)