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Strache: "Der Fall stinkt an allen Ecken und Enden"

Foto: APA/Roland Schlager

Wien - FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache ortet im Fall Kampusch einen veritablen Justiz-Skandal und fordert eine Wiederaufnahme des Ermittlungsverfahrens. In einer Pressekonferenz am Dienstag in Wien ritt er nicht nur heftige Attacken gegen die Staatsanwaltschaft, sondern präsentierte auch eine ganze Reihe von angeblich "stümperhaften" Ermittlungsfehlern. Wichtige Zeugen sollen nicht befragt und DNA-Spuren nicht gesichert worden sein. Strache wittert dahinter eine "methodische" Vorgangsweise: "Der Fall stinkt an allen Ecken und Enden."

Strache: Kind von Entführer

In seinem Rundumschlag bezeichnete Strache die in den Entführungsfall eingebundenen Staatsanwälte als "unfähige Dilettanten", denen "Seilschaften" wichtiger seien als "Mut zur Aufklärung". Gemeinsam mit der FPÖ-Abgeordneten Dagmar Belakowitsch-Jenewein ging er bezüglich einzelner Ermittlungsschritte ins Detail. So hält der FPÖ-Chef die Einzeltäter-Theorie für grundfalsch. Diesbezüglichen Aussagen einer "glaubwürdigen Tatzeugin", einem zwölfjährigen Mädchen, das zwei Männer im Entführungsauto gesehen haben will, habe man zu wenig Beachtung geschenkt.

Für Strache ist es sogar wahrscheinlich, dass Kampusch im Verlies des Hauses ihres Entführers Wolfgang Priklopil in Strasshof an der Nordbahn (NÖ) ein Kind zur Welt gebracht haben könnte. Es gebe "starke Indizien", wie etwa eine Haarlocke oder auch ein Buch über Säuglingspflege, die gefunden worden waren. "Was ist mit diesem Kind? Wenn es lebt, dann stellt sich die Frage: bei wem?", so Belakowitsch-Jenewein. Allerdings hätten im Garten Priklopils auch Leichenhunde angeschlagen. "Angeblich aber wegen modrigem Holz. Doch das ist gar nicht möglich. Diese Hunde können sogar Tier- von Menschenleichen unterscheiden."

Amon gegen "Gerüchte"

"Das ist die Verantwortung von Herrn Strache", kommentiert der ÖVP-Abgeordnete Werner Amon im Gespräch mit derStandard.at die blaue Medienoffensive. Aber: So sehr er das Bedürfnis teile, für völlige Aufklärung zu sorgen, plädiere er doch für die weitere nicht-öffentliche Untersuchung im Parlament, statt "politisches Kleingeld zu wechseln". Der ständige Unterausschuss des Innenausschusses, dessen Obmann Amon ist, sei für die Untersuchung "das richtige Instrument".

Zu Straches detaillierten Aussagen rund um Natascha Kampusch sagt Amon: "Einige dieser Vorhaltungen sind nicht ganz unbekannt, ich kann aber weder bestätigen noch dementieren, ob sich das so in den Akten findet." Kampusch sei in jedem Fall das Opfer in dieser Causa, betonte Amon neuerlich. Es gehe dem Parlament "um eine umfassende Prüfung jenseits von Gerüchten und Halbwahrheiten". Zurückweisen könne er jedenfalls Straches Unterstellungen, die Justiz wolle etwas verheimlichen, habe Justizministerin Beatrix Karl (ÖVP) doch zugesichert, alle Akten der Causa dem ständigen Unterausschuss des Innenausschusses zur Verfügung zu stellen. Diese Abgeordneten würden auch noch einmal gesondert vereidigt werden, um die Geheimhaltung "der sehr sensiblen Daten" zu gewährleisten.

SPÖ-Justizsprecher empört über Straches "Profilierung"

Strache leitet seine Vermutungen jedenfalls nicht aus den Papieren ab, die das Justizministerium dem Ausschuss im Parlament zu übermitteln versprochen hat: Die Akten seien den Parlamentariern noch nicht weitergeleitet worden, heißt es aus dem Büro der Ministerin zu derStandard.at. Auch die Angriffe Straches lasse man so nicht gelten, würde die Arbeit der Staatsanwälte im Fall Kampusch doch auf Karls Betreiben einem Double-Check unterzogen werden. Amon sieht jedenfalls die - nicht-öffentlichen - Untersuchungen im ständigen Unterausschuss des Innenausschusses durch Straches mediale Offensive nicht gestört oder behindert.

SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim reagiert im Gespräch mit derStandard.at hingegen hörbar wütend auf Straches öffentliche Ausführungen: "Er zitiert aus dem Akt, trägt aber nichts bei. Das ist nicht nur rechtswidrig, das ist ungefähr das Ärgste, was man in einem Strafverfahren auf dem Rücken des Opfers machen kann." Auf Kosten der Ärmsten der Armen, nämlich des Opfers Natascha Kampusch, "sich selbst zu profilieren und Details auszubreiten, zeigt, was von Strache zu halten ist". Jarolim erinnerte daran, dass zuletzt die Oberstaatsanwaltschaft Innsbruck die Causa viele Monate lang aufgearbeitet hat: "Welche Rechtfertigung hat Strache? Es geht um Schlagzeilen, das ist letztklassig."

Strache will Wiederaufnahme der Ermittlungen

Strache sieht sich hingegen als Aufdecker von Missständen: "Unglaubliche Pannen", "Lügen" und "Vertuschungen" haben laut ihm dazu geführt, dass der Akt "viel zu früh" geschlossen worden ist. So hätte etwa Priklopils Freund Ernst H. zu einem Zeitpunkt seelenruhig Dinge aus dem Haus entfernen können, als bereits die Spurensicherung anwesend war. Als die Verhaftung von H. unmittelbar bevorstand, hätte dies eine Weisung im letzten Moment verhindert. Und schließlich erinnerte Strache an den Chefermittler im Fall Kampusch. Der im Juni 2010 freiwillig aus dem Leben geschiedene Kriminalist soll kurz vor der Klärung des Falles gestanden sein und diesen laut Strache "von den Dimensionen und Verstrickungen her mit dem Fall Lucona" verglichen haben.

Die FPÖ fordert deshalb die Wiederaufnahme der Ermittlungen, eine Sondersitzung im Parlament, einen runden Tisch, an dem alle Partei- und Klubchefs sitzen sollen, sowie eine parlamentarische Befragung der Staatsanwälte "unter Wahrheitspflicht" (Strache). Der Fall wäre, sagte der FPÖ-Chef, in einem Unterausschuss "schlecht aufgehoben", dies käme "einem Politbegräbnis erster Klasse" gleich, weil dort "ja alles top secret" sei.

Der Grazer Staatsanwalt Thomas Mühlbacher hatte Anfang 2010 nach umfangreichen Ermittlungen befunden, dass es zu wenig Substanz für eine Mehrtäter-Theorie gibt, der Fall war damit eingestellt worden. (APA, kap)