Jerusalem - Der Iran fürchtet einen israelischen oder amerikanischen Angriff auf seine Nuklearanlagen und hat deshalb seine Luftabwehr verstärkt. Doch nun kommen seit über einem Jahr Attacken "vom Boden". Mal legt das Stuxnet-Virus von Siemens gelieferte Zentrifugen lahm, dann sind es Mordattentate auf führende Atomforscher. Die Mörder kamen per Motorrad, schossen gezielt und verschwanden wieder. Solange die nicht gefasst sind, kann nichts über deren Identität gesagt werden.
Vor zwei Wochen gab es eine große Explosion in einem Raketenwerk nahe Teheran. Dabei kam auch der Chefentwickler der Shahab-Raketen, General Hassan Tehrani Moqaddam, ums Leben. Diese Raketen können dank Reichweite und Tragkraft auch Atombomben ins Ziel tragen bis nach Israel, Europa oder zu amerikanischen Luftabwehrstationen zu tragen. Mit deren Zerstörung hatte kürzlich der Befehlshaber der iranischen Ravolutionsgarden, General Amir Ali Hajizadeh, gedroht.
Am Montag flog offenbar erneut eine geheime iranische Atomanlage in die Luft, diesmal bei Isfahan. Iranischen Medien meldeten erst eine Explosion, ohne nähere Informationen zu liefern, entfernten aber kurz darauf den Bericht wieder aus dem Internet. Was dann vom Iran, heruntergespielt, erweist sich anhand von Digitalglobe-Satellitenbildern jedoch als eine Szene schlimmster Verwüstung mit vielen zerstörten Gebäuden.
Im Sicherheitsausschuss des israelischen Parlaments erklärte Ithai Baron, Chef der Forschungsabteilung der militärischen Abwehrbehörde, dass beide Explosionen einen schweren Schlag für das iranische Atomprogramm bedeuten, ohne es völlig gestoppt zu haben. Der inzwischen behobene Schaden durch das Stuxnet-Virus habe das Atomprogramm um Wochen verzögert. In den israelischen Medien wird offen darüber diskutiert, dass der ehemalige Mossad-Chef Meir Dagan und sein derzeitiger Nachfolger die "Köpfe" hinter den Anschlägen auf das iranische Atomprogramm seien. Selbstverständlich fügen sie stets den Spruch hinzu: "Gemäß ausländischen Quellen."
Denn Israel bestätigt grundsätzlich nicht seine geheimdienstlichen Aktivitäten. Die Anschläge hätten einen zusätzlichen "positiven" Nebeneffekt. Sie hätten nicht nur führende Physiker ausgeschaltet, sondern Angst gestreut. Ein iranischer Atomforscher habe sich nach Saudi-Arabien abgesetzt. Das Stuxnet-Virus sei von den Amerikanern entwickelt, aber im israelischen Atomzentrum in Dimona gestestet worden sein. Über die Explosionen ist nur wenig bekannt. Die Explosion bei Teheran sei nach iranischen Angaben eine "Panne" gewesen, ausgelöst durch Verladen von Sprengstoff. Die israelischen Sicherheitsexperten meinen jedoch, dass es für Iran zu peinlich sei, offen eine Verwundbarkeit seiner geheimsten Anlagen einzugestehen.
Ob tatsächlich der Mossad hinter den Angriffen steckt, bleibt Spekulation und unbewiesene Behauptung der im Nahen Osten kursierenden Verschwörungstheorien. "Gleichgültig was die Ursachen waren, haben die Anschläge und die Explosionen mal wieder Israels Abschreckung gestärkt", sagte der Experte Ronen Bergmann im Rundfunk. Israels größte Angst ist weniger ein direkter Angriff aus dem Iran, obgleich nach Angaben des iranischen Verteidigungsministers Brigadegeneral Ahmad Vahidi gegenüber der FARS-Nachrichtenagentur 150.000 Raketen für eine Attacke auf den jüdischen Staat bereit stünden.
Auch der Bericht der FARS-Agentur, wonach der Iran 30.000 syrische und palästinensische Selbstmordattentäter ausgebildet habe, um sie über die Grenze auf den Golanhöhen nach Israel einzuschleusen, wird in Israel nicht sonderlich ernst genommen. Als unmittelbare Gefahr gilt vielmehr ein konzertierter Raketenangriff der Verbündeten des Iran, die Hamas-Organisation im Gazastreifen und die Hisbollah-Miliz im Libanon. Beide wurden von Iran mit Raketen beliefert, die jeden Punkt in Israel erreichen könnten. Doch weder die Hamas noch die Hisbollah scheinen im Augenblick an einer militärischen Auseinandersetzung mit Israel interessiert zu sein, wegen der schmerzhaften Schläge, die sie jeweils während des Libanonkrieges 2006 und während der Operation "Gegossenes Blei" erlitten hätten. Das behaupten israelische Fachleute. (Ulrich W. Sahm/APA)