Mit Laurent Gbagbo muss sich erstmals ein früheres Staatsoberhaupt vor dem Internationalen Strafgerichtshof verantworten. In diesen Tagen fällt auch die Entscheidung über den neuen Chefankläger.
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Den Haag / Wien - Es sind dieser Tage gleich zwei Ereignisse, die das teilweise schwierige Verhältnis der afrikanischen Staaten zum Internationalen Strafgerichtshof (ICC) auf eine neue Grundlage stellen könnten. Zum einen ist mit dem Ex-Präsidenten von Côte d'Ivoire, Laurent Gbagbo, erstmals ein früheres Staatsoberhaupt nach Den Haag ausgeliefert worden. Zum anderen fällt die Entscheidung über den neuen Chefankläger - und der wird aus Afrika kommen. Soviel steht bereits fest.
Die Überstellung Gbagbos in den frühen Morgenstunden am Mittwoch kam überraschend. Das Gericht hatte den Haftbefehl gegen den Ex-Präsidenten erst in der vergangenen Woche ausgestellt, wohl aus Angst vor neuen Unruhen in dem westafrikanischen Staat aber geheim gehalten.
Gbagbo muss sich in Den Haag für Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantworten, die von seinen Truppen in der Zeit von Mitte Dezember 2010 bis Mitte April 2011 verübt worden sein sollen, darunter Mord und Vergewaltigung. Er hatte bei den Präsidentenwahlen vor einem Jahr gegen seinen Herausforderer Alassane Ouattara verloren, die Niederlage aber nicht anerkannt. Der Machtkampf artete in einen blutigen Konflikt aus, der laut UN 3000 Menschen das Leben kostete.
Afrikanische Staaten haben dem Gerichtshof immer wieder vorgeworfen, er agiere politisch voreingenommen und arbeite selektiv, weil bisher nur afrikanische Fälle bis zur Anklage gelangt sind. Bei Gbagbo war es die neue Regierung von Ouattara selbst, die die Initiative zu den Ermittlungen ergriffen hat. Côte d'Ivoire ist nicht einmal ICC-Mitglied, sondern hat sich in einer Erklärung der Gerichtsbarkeit der Institution unterworfen. Dass nun die Nachwahl-Unruhen geahndet werden, könnte, so hoffen ICC-Befürworter, künftig auch anderen als Warnung dienen. Aktuelles Beispiel: Die Demokratische Republik Kongo, wo am Montag gewählt wurde und Gewalt befürchtet wird.
Verbrechen sollen laut Uno auf beiden Seiten verübt worden sein. Auch Anhänger Ouattaras könnten sich in Zukunft verantworten müssen. Chefankläger Luis Moreno Ocampo hat das angedeutet. "Die Ermittlungen gehen weiter", erklärte er. Es werde weitere Fälle geben, "unabhängig der politischen Zugehörigkeit".
Moreno Ocampo ist seit 2003 Chefankläger, sein Mandat läuft im Juni nächsten Jahres aus. Beim Treffen der ICC-Vertragsstaaten Mitte Dezember in New York soll sein Nachfolger offiziell bestimmt werden. Von einer langen Liste an Kandidaten sind nach intensiven Beratungen der Vertragsstaaten nun zwei Kandidaten übriggeblieben: der Chef des Höchstgerichts von Tansania, Mohamed Chande Othman, und die bisherige stellvertretende Chefanklägerin des ICC, Farou Bensouda aus Gambia. Laut Diplomaten soll Bensouda die besseren Chancen haben. Die afrikanischen Staaten hatten darauf gedrängt, dass Moreno Ocampos Nachfolger aus Afrika komme. (DER STANDARD, Printausgabe, 1.12.2011)