Geht es nach Mike Lynch, werden wir in fünf Jahren auf der Suche nach Informationen nicht mehr erst Wörter in irgendwelche Maschinen eintippen, um zu erfahren, was herausfinden wollen. Alle Dinge werden vielmehr gewissermaßen mit uns sprechen: "Wenn Sie zum Beispiel einen Wein besonders mögen, werden Sie ihr Smartphone auf das Etikett halten. Jemand wird darauf als virtuelle Realität auftauchen, Ihnen alles über Herkunft und Besonderheit erzählen und sagen, wo sie den Wein kaufen können", erzählt er im STANDARD -Gespräch.

Bis vor wenigen Monaten kannten außerhalb der Softwarebranche nur wenige den CEO von Autonomy, einem britischen Unternehmen, das sich darauf spezialisiert hat, so genannte unstrukturierte Daten aus E-Mails, Telefonanrufen, SMS, Tweets oder Videos auszuwerten. Doch seit vor wenigen Monaten der weltgrößte Computerkonzern Hewlett-Packard zwölf Milliarden Dollar für Autonomy hinblätterte, ist der Bekanntheitsgrad von Lynch und der von ihm mitgegründeten Softwareschmiede schlagartig gestiegen. Auf der HP-Kundenveranstaltung Discover in Wien stellte er die ersten mit HP-Produkten verschränkte Lösungen zur Hebung bisher nicht verwertbarer Datenschätze in Unternehmen vor

Datenverarbeitung beruht heute großteils auf der Auswertung von Reihen und Spalten in Datenbanken. Computer können zwar daraus Informationen filtern und verknüpfen. "Aber zu wissen, dass A=B ist, sagt noch nichts darüber aus, was A oder B ist", erläutert Lynch, der in seiner Heimat auch schon als der Bill Gates Großbritanniens bezeichnet wurde, den Ausgangspunkt für Autonomy-Software.

Bayes'sche Statistik

Worauf es aber ankomme, illustriert er mit folgendem Beispiel: "Ein Call Center könnte zwar alle Anrufe in einer Datenbank abspeichern, hätte deswegen aber noch keine Ahnung, ob die Kunden, die angerufen haben, glücklich waren oder nicht" - was ja das Urinteresse von Unternehmen sein sollte. Um das herauszufinden, verspricht Autonomy Technologien zur "bedeutungsbasierten" Verarbeitung von Informationen.

Solche Anwendungen gehen beispielsweise über die einfache Suche nach bestimmten Schlüsselworten hinaus, indem sie auch auf sinnverwandte Dokumente verweisen und automatisch verknüpfen, obwohl das gesuchte Wort darin gar nicht in wörtlicher Form vorkommen muss. Autonomy nutzt dabei die Bayes'sche Statistik, die mit Wahrscheinlichkeiten arbeitet - im Gegensatz zum Algorithmenansatz von Suchmaschinen. Für den 46 Jahre alte studierten Mathematiker bricht zumindest ein neues Zeitalter in der IT an: "Wir werden nicht nur die 15 Prozent in Datenbanken vorhandenen strukturierten Informationen verstehen können, sondern alle digitalen Informationen", ist er überzeugt.

Was diese Möglichkeit für die Privatsphäre bedeuten könnte? "Ich möchte kein Werturteil darüber abgeben", betont Lynch, "aber wir befinden uns nun einmal in einer Zeit, in der wir uns anpassen müssen, wie wir mit unserer Privatsphäre umgehen." Man könne sicher den Schluss ziehen, dass wir mit Hilfe von Technik immer transparenter würden. "Doch man wird diese Technologie nicht aufhalten können, die wichtigere Frage ist, wie die Gesellschaft damit umgeht."

Für Lynch stehen wir jedenfalls erst am Anfang der Aufbereitung digitaler Informationen, die noch "unsichtbar" um uns herumschwirren. In nicht so ferner Zukunft würden unsere mobilen Geräte ihre Umgebung selbständig erkennen und sie mit zusätzlichem Informationen anreichern, sagt er voraus. (Karin Tzschentk, DER STANDRAD Printausgabe, 20. 11. 2011)