Ein Aids-Seelsorger ohne Predigerallüren: Pater Clemens Kriz.

Foto: Heribert Corn /www.corn.at

Kieselsteine mit Namen und Sterbejahr sind Teil des Aids-Memorials bei der Kirche Maria Grün, wo Pater Clemens Kriz sein Büro hat.

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Die Sonne scheint durch die beinahe kahlen Bäume im Prater. Es ist Ende November, aber es ist angenehm mild. Pater Clemens Kriz versucht das nasse Laub vom Aids-Memorial zu kehren, das sich seit 2007 hier, neben der Wallfahrtskirche Maria Grün, etwas abseits der Aspernallee, befindet. "Es bringt nichts", seufzt er und stellt den Besen weg.

Unter den toten Blättern ist die rote Schleife, das Symbol für Solidarität mit HIV- und Aids-Opfern, zu erkennen. Rundherum ein Bett aus Kieselsteinen. "Michael 1995" steht auf einem "Susanne 2004" auf einem anderen. Es sind Vornamen und Sterbejahre aidskranker Menschen.

Randgruppen betreuen

In der Sakristei der 2009 renovierten Kirche ist es kühler als draußen, ein kleiner Ethanolofen versucht die Kälte zu vertreiben. Kriz, seit 1992 Aids-Seelsorger der Erzdiözese Wien, sitzt an dem weihnachtlich geschmückten Tisch, Kaffeehäferl, Zigaretten und Aschenbecher vor sich. "Als Trinitarierpater kümmere ich mich um gesellschaftliche Randgruppen", sagt er, schließlich sei das von jeher die Aufgabe des Ordens. 1980, mit 25 Jahren, trat der in Wien geborene Krankenpfleger den Trinitariern bei. Davor war er fünf Jahre bei den Barmherzigen Brüdern.

Der 56-Jährige ist überzeugter Raucher. Er zieht an seiner Zigarette, bläst den Qualm in den mit Ikonen und Heiligenbildern geschmückten Raum. Er erinnert sich, wie die Immunschwächekrankheit Teil seines Alltags wurde: "Als ich noch in der Pfarre Maria Treu im achten Bezirk war, hatte ich in einer Woche zwei Aids-Tote zu begraben." Er erinnert sich an blöde Kommentare von Sargträgern, an Pfarrer, die nur ein Urnenbegräbnis erlaubt hätten.

"Wollen Sie nicht auch die Lebenden besuchen?", fragte ihn eine Pflegerin der Aids-Station auf der Baumgartner Höhe. Also ist er losgezogen, am Faschingsdienstag 1992, im vollen Habit, hinauf auf die Baumgartner Höhe, zum letzten Pavillon. "Ausgelassen, nicht bedrückend war die Stimmung dort", sagt er. "Lauter junge Pflegerinnen und Pfleger waren dort, Freiwillige, ein bisschen ausgeflippt." Ebenso jung seien die Patienten gewesen, Schwule und Junkies, keiner älter als 40 Jahre. Die Station hatte 20 Betten, zehn bis zwölf Todesfälle gab es pro Monat.

"Ich bin anfangs völlig hilflos dort gestanden", gibt er zu. Präsent zu sein, das hat er bald erkannt, ist das Wichtigste. "Man braucht nicht ständig klugzuscheißen." Er ist keiner, der anderen die Moralvorstellungen der römisch-katholischen Kirche aufs Auge drückt. Manche Gespräche hätten sich um religiöse Themen gedreht, viele auch nicht. Er habe viel gelacht mit den Patienten. "Ich habe mich nie mehr so intensiv als Seelsorger gefühlt wie damals."

"Dem Virus ist es egal, ob du ob homo- oder heterosexuell bist, ob Mann, ob Frau" - das versucht der Pater zu vermitteln. Denn es scheint noch nicht in den Köpfen der Menschen angekommen zu sein, dass HIV/Aids die Mitte der Gesellschaft erreicht hat. Hinzu kommt die Bagatellisierung der Krankheit, weil diese gut behandelbar ist und nicht mehr zwangsläufig den Tod bedeutet - zumindest im Westen.

Dadurch hat sich auch die Art der Seelsorge geändert - von der Sterbebegleitung zur Lebensbegleitung. "HIV-Infizierte wollen ein normales Leben führen und verheimlichen aus Selbstschutz ihre Krankheit", weiß er und hat dafür volles Verständnis. Nicht selten würden Erkrankte unter fadenscheinigen Argumenten gekündigt oder in Frühpension geschickt.

Leidige Kondomdebatte

Kriz wird grantig, wenn er von Familienvätern, "g'standenen Männern", hört, die einem Junkie-Mädchen einen Hunderter mehr zahlen, damit sie es ohne Gummi machen können. "Das sind die Gleichen, die es dann nicht zugeben", empört er sich. Er erzählt von einem tragischen Fall, einer Mittelschullehrerin, die sich das Leben genommen hat. Sie wurde von ihrem Ehemann infiziert, der aber nicht zugegeben hat, dass er fremdgegangen ist.

Den Einwurf, dass sich die Kirche offiziell mit dem Gebrauch von Kondomen schwertut, lässt Kriz nicht gelten. "Der Papst hat gesagt, dass der Gebrauch von Kondomen in manchen Fällen hinnehmbar ist", sagt er. "Es soll mir ja keiner mit der Ausrede kommen, er nehme kein Kondom, weil es der Papst nicht erlaubt", fährt er fort. Das sei scheinheilig. Seine Stimme ist ans laute Sprechen gewöhnt.

"Außerdem haben wir hier in Europa ungehinderten Zugang zu Präservativen", stellt er fest, "nur genommen werden sie nicht." Die Neuinfektionen sprechen dafür. In diesem Licht betrachtet, sei auch die Aussage Benedikts XVI. nachvollziehbar, wenn er meint, dass das Kondom nicht die alleinige Lösung sei. Kriz jedenfalls würde niemandem den Gebrauch des Kondoms verbieten. Er ist Pragmatiker, weniger Ideologe - und wundert sich, warum nicht auch andere Glaubensrichtungen zu diesem Thema befragt werden. Solange Safer Sex jedenfalls noch nicht in den Betten angekommen ist, wie es die Aids-Hilfe Wien ausdrückt, so lange werden auch die beschrifteten Kieselsteine beim Aids-Memorial im Prater nicht weniger werden. (Markus Böhm, DER STANDARD, Printausgabe, 1.12.2011)