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Demonstranten vor der syrischen Botschaft in Istanbul: "Wir verurteilen jene, die unsere Pilger angegriffen haben."

Foto: Reuters/Murad Sezer

Zweieinhalb Monate lang kündigte die Türkei Sanktionen gegen Syrien an, nannte Bashar al-Assad einen Lügner und sprach doch immer wieder von einer "letzten Chance". Nun enthüllte Außenminister Ahmet Davutoglu einen Strafkatalog. "Jede Kugel, die abgefeuert wurde, jede Moschee, die bombardiert wurde, hat die Legitimation der syrischen Führung beendet und den Graben zwischen uns vertieft", sagte Davutoglu am Mittwoch.

Die Sanktionen liegen auf der Linie der Maßnahmen, die zuvor auch die Arabische Liga beschlossen hatte. Ankara verhängte ein Waffenembargo, erließ Reiseverbote und will Vermögen einfrieren. Die Arbeit eines bilateralen Konsultationsgremiums werde ausgesetzt, "bis eine legitime Regierung, die im Frieden mit ihrem Volk ist, die Verantwortung hat". Wirtschaftsprojekte würden ebenso gestoppt wie Exportkredite.

Die Strafmaßnahmen sollen das Regime, nicht das syrische Volk treffen. Zuvor diskutierte radikalere Schritte wie die Kappung von Stromlieferungen nach Syrien oder der Stopp des Flugverkehrs blieben deshalb aus.

Die Türkei sieht sich selbst mehr denn je als vermittelnde und organisierende Kraft. Das lange Zögern mit Sanktionen erklärt sich zum einen mit wirtschaftlichen und innenpolitischen Überlegungen: Ankara will Unabhängigkeit demonstrieren. Der Handel der Türkei mit Syrien ist mit 1,9 Milliarden Euro 2010 - gemessen am Austausch mit der EU - vergleichsweise klein, doch der Aufstand in Syrien hat die Arbeit in den Produktionsstätten türkischer Unternehmer in Syrien empfindlich getroffen. Syrien ist zudem ein Transitland für türkische Waren nach Jordanien und an den Golf.

"Auf Szenarien vorbereitet"

Ein Regimewechsel hätte aber auch regionalpolitische Auswirkungen. Eine neue, sunnitische Regierung in Damaskus würde sich auf Saudi-Arabien und die konservativ-islamische AKP-Regierung von Erdogan, ebenfalls ein Sunnit, stützen. Damit würde eine größere Rivalität mit dem Iran heraufbeschworen; trotz scharfer Worte ließ Erdogan deshalb bisher wenig konkrete Taten folgen. Die Türkei sei aber "auf alle Szenarien vorbereitet", ließ Davutoglu wissen. Das betrifft etwa eine Flüchtlingswelle oder einen militärisch überwachten "humanitären Korridor".

Ein Angriff von Kämpfern der verbotenen PKK, denen Syrien möglicherweise wieder Zuflucht bietet, wäre ein anderes Szenario, das zu einer militärischen Intervention der Türkei führen würde.

Syrien habe nicht viele Karten gegen die Türkei in der Hand, meint Ufuk Ulutas vom Thinktank Seta in Ankara: "Die PKK-Karte ist eine davon. Das Regime in Syrien hat gezeigt, dass es dumm genug ist, so etwas zu tun." (DER STANDARD, Printausgabe, 1.12.2011)