Schibany: "Italien hat zu wenig in die Zukunft investiert."

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Krisenbewusstes Straßencafé in Rom. - Ist Italiens Malaise wirklich nur den zinstreibenden Praktiken der Finanzmärkte geschuldet, oder verwechseln da manche Therapeuten Ursache und Wirkung?

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Bevor die Schuldenbremse als Verfassungsgesetz festgezurrt wird und damit wieder eine hoffnungsvolle Ruhe in die heimische Finanzpolitik einkehrt, sollte ein weiterer und vielleicht weniger kurzfristiger Gedanke über die Ursachen der gegenwärtigen Krise Berücksichtigung finden. Denn es ist vor allem der Weg und weniger das Ziel einer Schuldenreduktion, welcher ein Land über Jahre hindurch prägt. Und deshalb sollte dieser wohlüberlegt sein, und die Lehren aus der aktuellen Situation anderer Länder sollten genutzt werden.

Freilich überwiegen zurzeit die Angst vor den Ratingagenturen sowie die Empörung über die Finanzmärkte. Aber das allgegenwärtige Misstrauen in die Grundmechanismen marktwirtschaftlicher Prozesse überdeckt die Tatsache, dass die Volatilität der Märkte mehr Symptom denn Ursache der gegenwärtigen Malaise ist. Italien ist das beste Beispiel dafür. Es ist nicht wahr, dass Italien in den letzten Jahren über seine Verhältnisse gelebt habe. Die private Sparquote sowie das Defizit hielten sich moderat, und die Bruttoschulden sind mit 120 Prozent des BIPs zwar exorbitant hoch - aber nicht viel höher als bei der Einführung des Euro. Was jedoch deutlich zurückblieb, war das Wachstum.

Und damit verweist die Situation Italiens auf ein gesamteuropäisches Defizit: Denn was Europa im Allgemeinen und die Problemländer im Besonderen lähmt, ist neben der Euro- und Finanzkrise vor allem eine Wachstumskrise. Und da allerorten vom Sparen und weniger vom Investieren die Rede ist, werden wohl auch in Zukunft keine Wachstumsimpulse zu erwarten sein und damit die krisenhaften Entwicklungen prolongiert.

Hausgemachte Versäumnisse

Zwar wird gern auf die innereuropäischen Ungleichgewichte hingewiesen und am fernen Horizont das Bild der Transferunion mit solidarischer Begleitmusik gezeichnet. Aber ein Blick auf die Entwicklung der letzten Jahre zeigt, dass jene Länder, welche einen Leistungsbilanzüberschuss aufweisen, diesen nicht durch Protektionismus oder Abwertung, sondern dadurch erreicht haben, dass sie in der Lage waren, wissensintensive Produkte zu erzeugen, für welche eine weltweite Nachfrage besteht.

In Italien hingegen hat man es verabsäumt, in solch zukunftsorientierte und damit wachstumsfördernde Bereiche zu investieren. Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung liegen in Italien schon seit Jahren weit unter dem europäischen Durchschnitt, und der private Sektor finanziert gerade einmal knapp über 40 Prozent der gesamten Forschungsausgaben - im OECD-Schnitt liegt dieser Anteil knapp unter zwei Dritteln. Die Arbeitsproduktivität zählt zu den niedrigsten im EU-Raum, und jenes Produktivitätsmaß, das mit Innovationen und Effizienzverbesserung in Verbindung gebracht wird - die Multifaktorproduktivität -, ist seit 1995 sogar gesunken.

Nun wird aber das Wirtschaftswachstum durch das Produktivitätswachstum angetrieben - Paul Krugman brachte es unlängst pointiert auf den Punkt: "Productivity isn't everything, but in the long run is nearly everything." Die Produktivität ist jene Determinante, welche das Wachstum und damit den Wohlstand einer Bevölkerung bestimmt - und dieser Zusammenhang trifft auf jede Volkswirtschaft zu.

Dass aber auch die innovativsten und forschungsintensivsten Unternehmen funktionierende Institutionen und veränderbare Strukturen benötigen, um ihre Dynamik entfalten zu können, ist ein weiterer Beleg für das Versagen der politischen Entscheidungsträger in den Problemstaaten. Schließlich bedarf es auch der entsprechenden Rahmenbedingungen, um jungen, gut ausgebildeten Menschen ihre Entfaltungsmöglichkeiten zu bieten.

Deutschland hat diesen Zusammenhang begriffen und hat es, wenngleich auch von Sparnotwendigkeiten betroffen, nicht verabsäumt, in jene Bereiche zu investieren, die die Grundlage für Wachstum bilden. Im Bundeshaushalt 2011 wurden die Ausgaben für Bildung und Forschung um 7,2 Prozent gesteigert, und der Hochschulpakt, die Exzellenzinitiative und der Pakt für Forschung und Innovation werden weiter ausgebaut. Nun kann niemand seriöserweise die daraus resultierenden Wachstumseffekte kalkulieren oder glaubwürdig versichern, wann mit dem Ertrag zu rechnen ist. Es ist aber ein Indiz für ökonomische Vernunft und politischen Weitblick.

Dass das größte und das viertgrößte Euroland sich trotz aller Hoffnungen und Visionen bei der Einführung einer gemeinsamen Währung und trotz gemeinsamer europäischer Institutionen und Spielregeln derart differierend entwickelten, zählt sicherlich zu einer der größten europäischen Kränkungen. Es zeigt nämlich, dass Volkswirtschaften idiosynkratische Entwicklungspfade beschreiten und kein noch so großes europäisches Förderprogramm oder die Litanei gemeinsamer europäischer Werte eine kluge und weitsichtige nationale Politik ersetzen können. Die Probleme Italiens sind nicht jene Griechenlands, und die Probleme Spaniens sind nicht jene Italiens. Aber die Basis der heutigen Probleme in sämtlichen dieser Problemländer wurde schon vor Jahren gelegt. Die von den Finanzmärkten diktierten Zinsen sind der Preis, der heute dafür gezahlt werden muss.

Freilich macht es Spaß, in Tagen wie diesen den "neoliberalen Smog" zu beklagen oder die aufgestaute Energie in einem Rundumschlag auf das Profitstreben der Finanzmärkte zu fokussieren. Es sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es die spontanen Wettbewerbsordnungen der Wissensproduktion und -nutzung sind, welche die entscheidenden Voraussetzungen für den Wohlstand bilden. (Andreas Schibany, DER STANDARD, Print-Ausgabe; 1.12.2011)