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Liebestoll: Ruth Brauer-Kvam, Raphael von Bargen.

Foto: AP / Lili Strauss

Michael Kreihsl beschäfigte sich früher mit dem Absurden Daniil Charms, um jetzt bei George Feydeau zu landen. Kreihsl, 53, ist Wiener Filmregisseur, der zuletzt auch Komödien von Daniel Glattauer zu Uraufführungsehren verhalf.

Foto: Josefstadt-Theater

Premiere ist am 1. 12.  - Mit Michael Kreihsl sprach Ronald Pohl.

Wien - In Georges Feydeaus Schwank Ein Klotz am Bein versucht ein hochwohlgeborener Mann (Raphael von Bargen), sich aus schnöder Geldgier von seiner Partnerin (Sona MacDonald) zu befreien. Unaufrichtigkeit wird den Bürgern zur zweiten Natur: Sie weben unmögliche Lügengespinste und fallen durch die Maschen. Im Wiener Josefstadt-Theater hat Michael Kreihsl die heutige Premiere inszeniert.

Standard: Inwiefern werfen Feydeaus Komödien ein Schlaglicht auf unsere Gesellschaft? Gezeigt werden gutgestellte Bürger, die sich von den Anforderungen der Moral überrollen lassen müssen.

Kreihsl: Die Tatsache, darüber zu lachen, dass es nichts zu lachen gibt, ist zeitlos. Wie auch die Lüge und die Anstrengungen, sie zu verheimlichen. Die Angst vor den Folgen, jemandem die Wahrheit ins Gesicht zu sagen, ebenso. Die Lüge hat kurze Beine, auch für die im Hamsterrad laufenden, gut gestellten Bürger, die glauben, sich von der Stelle zu bewegen, schließlich aber feststellen müssen, keinen Meter weiter gekommen zu sein. Das Abstrampeln dieser Menschen, die meinen, sich solche "Glücksmomente" erlauben zu können, ist genauso andauernd.

Standard: Was hat es mit der sprichwörtlichen guten Geöltheit eines Vaudeville-Stückes wie Ein Klotz am Bein auf sich? Sieht sich der Regisseur beim Auf- und Zuschlagen der Türen vor besondere Aufgaben gestellt?

Kreihsl: Ja, er steht vor der Aufgabe, sicherzugehen, dass die Türschnallen nicht herausfallen.

Standard: Ist der Inszenierungsaufwand mit dem fehlerlosen Absolvieren einer Etüde vergleichbar?

Kreihsl: Der Text ist wie eine Partitur, und meine Aufgabe ähnelt derjenigen eines Dirigenten. Ich lerne den Text genau kennen, um ihn dann in Raum und Zeit zu setzen. Einerseits habe ich die Freiheiten, die das geschriebene Wort ermöglicht, andererseits sehe ich es als meine Aufgabe, der Vielfalt von Interpretationsmöglichkeiten und dem Charakter der einzelnen Schauspielerinnen und Schauspieler nachzugehen - und ihm auch nachzugeben. Es ist wie bei bestimmten Musikstücken, die wurden immer in einem bestimmten schnellen Tempo gespielt, zum Beispiel Vivaldis Vier Jahreszeiten in den 1950ern. Dann kommt plötzlich ein Dirigent, er heiße Heinrich Scherchen oder auch Nikolaus Harnoncourt, der ein anderes Tempo dirigiert. Und auf einmal entdecken wir etwas Neues, etwas Klares, eine weitere Dimension unter der Firnisschicht. Wäre der Inszenierungsaufwand auf das fehlerlose Durchspielen von Etüden beschränkt, würde ich auf der Bühne ein Blockflöten- oder Akkordeonorchester mit Rhythmusgerät dirigieren.

Standard: Inwieweit kommen einem dabei Erfahrungen als Filmregisseur zugute?

Kreihsl: Man zieht sich warm an.
(DER STANDARD, Printausgabe, 1.12.2011)