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Die Psychoanalytik beschäftigt sich mit narzisstischen Führungskräften und (Ex-)Politikern.

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Der Hund am Arbeitsplatz liegt in den Kinderzimmern begraben, sagt Walter Hoffmann, Psychoanalytiker und Leiter des Instituts für Angewandte Tiefenpsychologie.

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"Schräglage - Die Sehnsucht nach Zufriedenheit"
Gerti Senger, Walter Hoffmann
Goldegg Verlag, erschienen im Oktober 2011
Hardcover, 350 Seiten
Preis: 22 Euro

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Eine "Schräglage" in der Gesellschaft ortet Psychoanalytiker Walter Hoffmann, mit Psychotherapeutin Gerti Senger hat er darüber ein Buch geschrieben. Im Interview mit derStandard.at plädiert Hoffmann für Regulative, um die Gier des Menschen in Zaum zu halten und erklärt, warum gerade narzisstische Persönlichkeiten in den Chefsesseln sitzen.

derStandard.at: Ihr Buch heißt "Schräglage". Ist die Schräglage so eklatant?

Hoffmann: Ja, deswegen braucht der Markt Regulative. Unsere eigenen Gesetzmäßigkeiten bestimmen die Regeln des Marktes. So wie wir biologisch und psychologisch konstruiert sind, unterliegen wir den Gesetzen der Evolution. Wir kooperieren nur dort, wo die Kooperation für uns persönlich einen größeren Nutzen abwirft als egoistisches Handeln.

derStandard.at: Eine freiwillige Selbstbeschränkung ist aus Ihrer Sicht nicht möglich?

Hoffmann: Die kann es aufgrund unserer genetischen Disposition nicht geben. Wir maximieren unseren Vorteil, wo immer wir die Möglichkeit dazu haben. Wenn wir unsere Gier nicht in Zaum halten können, müssen wir uns Regulative einfallen lassen.

derStandard.at: Welche?

Hoffmann: Es gibt ein Kriterium, das Erfolg und Misserfolg misst, nämlich der materielle Profit. Früher war noch die Vorstellung da, dass das Leben unabhängig vom materiellen Besitz Genuss abwirft. Die Gier, die unser Grundantrieb ist, muss reguliert werden, indem es zum Beispiel beim Verdienst Obergrenzen gibt. Die müssen so gewählt sein, dass der Anreiz nicht verloren geht. Was nutzt es mir, wenn ich als Manager 450.000 Euro im Jahr kassiere, um sechs in der Früh aufstehe und um 22.00 Uhr retour komme? Dann schütte ich mir die Birne mit Bourbon zu und am nächsten Tag geht es in dieser Tonart weiter. Ich habe zwar unglaublich viel Geld gehortet, kann es aber sowieso nicht mehr ausgeben. Irgendwann kommt dann die Frage: "War es das wirklich wert?".

derStandard.at: Sie plädieren für eine Gehaltsobergrenze. Welche Summe haben Sie vor Augen?

Hoffmann: Wenn man davon ausgeht, dass eine Kassiererin 15.000 bis maximal 20.000 Euro netto pro Jahr verdient und ein Manager im Bankbereich 450.000 pro Jahr, dann stimmt die Relation nicht. Menschen sind nicht so viel mehr wert. Der Leistungsgedanke soll nach wie vor belohnt werden, aber nicht auf so eine absurde Weise, denn das hat nichts mehr mit Leistung zu tun. Eine Pflegekraft leistet eventuell gleich viel wie eine Führungskraft, hat aber keine Chance auf einen hochdotierten Job.

derStandard.at: Sie skizzieren den Arbeitsplatz als Verlängerung des Kinderzimmers, wo alte Beziehungsmuster reaktiviert werden. Welche Mechanismen sind da im Spiel?

Hoffmann: Das hat mit der biologischen Prägung des Menschen zu tun, die Ressourcen der Eltern für sich zu beanspruchen. Im Kinderzimmer geht es darum, vor allem wenn es mehrere Geschwister sind, das Lieblingskind zu sein. Das motiviert Kinder brav zu sein, um sich die Liebe der Eltern zu erhalten. Gleichzeitig führt das zu einer Rivalität mit den Geschwistern. Geschwisterliebe ist ein Mythos, in Wirklichkeit gibt es ein Kain und Abel-Verhältnis im Unbewussten.

derStandard.at: Was hat das mit dem Büro zu tun?

Hoffmann: Diese Muster können sehr einfach auf die Arbeitswelt übertragen werden, weil sie dort ein ganz ähnliches Familienmodell vorfinden. Mit dem Chef gibt es eine Autorität, die den Mitarbeitern, den Kindern, vorgesetzt ist. Diese Autorität wird automatisch mit Zuschreibungen aufgeladen, die mit dem Rationalen nichts zu tun haben, sondern nur mit der Rolle des Menschen und nicht mit dem Menschen selbst. Auch am Arbeitsplatz geht es darum, in der Gruppe der Beste zu sein. Also jene Person, die von der Autorität die Zuwendung erhält. Das Lieblingskind der Eltern.

derStandard.at: Welche Konsequenzen hat das im Umgang mit Kollegen?

Hoffmann: Das führt zu Rivalitäten auf der einen, und Kooperationen auf der anderen Seite. Allianzen werden eingegangen, um einen Vorteil zu bekommen. Das sind Gefühle, die bis in die früheste Kindheit zurückreichen. Das Verhältnis zu Vorgesetzten entspricht oft der emotionalen Struktur von Vater-Mutter-Kind-Beziehungen. Welche Strategie der Mensch wählt, ist scheinbar individuell, praktisch stellt sie aber immer wieder die Rivalität im Kinderzimmer her.

derStandard.at: Wie äußert sich das im Verhalten?

Hoffmann: Das kann sich so äußern, dass man um Anerkennung ringt oder das Gefühl hat, nicht gemocht zu werden, ohne dass es eine rationale Grundlage dafür gibt. Das sind Bilder, die im Hirn neuronal gespeichert sind und durch geeignete Auslöser übertragen werden. Wie im Kino, wo aufgezeichnete Filme in der Gegenwart abgespielt werden ohne dass wir merken, dass schon viel früher aufgezeichnet wurde.

derStandard.at: Und als Einzelkind?

Hoffmann: Ein Einzelkind ist von Haus aus darauf eingestellt, dass es das Wichtigste ist. Viele sind zutiefst gekränkt, wenn ihnen jemand anderer vorgezogen wird, weil das nicht in ihr emotionales Bild passt.

derStandard.at: Auch das spiegelt sich im Büro wider?

Hoffmann: Absolut. Es kommt zu Kränkungen, die ein anderer Mitarbeiter in dieser Form nicht erleben wird, weil er mit solchen Situationen vertraut ist. Oft sind das Leute, die mit so einem Selbstbewusstsein ausgestattet sind, dass sich die anderen gar nicht trauen, die Kompetenz infrage zu stellen und sich spontan der Dynamik unterwerfen. Im Büro sind viele irrationale Gefühle im Spiel. Die Leute sind sich dessen zwar bewusst, versuchen diese aber dennoch pseudorational oder pseudointellektuell zu erklären. Es geht nicht um dumme Vorschläge oder Ideen, die kaputt gemacht werden, sondern um das Gefühl dahinter, das sie zum Scheitern bringt.

derStandard.at: Welche Gefühle verbergen sich hinter Konflikten im Büro?

Hoffmann: Etwa Neid, Missgunst oder Eifersucht. Menschen wollen zum Beispiel auf sich aufmerksam machen, indem sie bewusst die Gegenposition einnehmen. Konflikte werden nicht sachlich, sondern emotional ausgetragen. Nicht die Realität des Arbeitsplatzes ist entscheidend, Gefühle von früher werden jetzt abgerufen. Sie reagieren nicht wie auf eine Kollegin, sondern wie auf die Schwester oder den Bruder. Mit Wut, Rivalität, Eifersucht oder auch Beschützerinstinkt, wenn es eine gute Beziehung war. Wenn man sich als Lieblingskind fühlt, verlangt man auch den Schutz durch die Eltern. Die Erwartungen haben nichts mit der Realität zu tun, sondern werden rein über den Film aus der Vergangenheit gespeist.

derStandard.at: Lassen sich solche, wie sie sagen, irrationalen Konflikte überhaupt korrigieren?

Hoffmann: Es würde sich korrigieren lassen, zumeist bleibt es aber bei Oberflächenkosmetik. Wenn Sie wirklich etwas verändern wollen, dann ist das ein Prozess über das Bewusstwerden des Konfliktes. Das ist schwierig, denn an Interpretationen, die unsere Sicht der Welt untermauern, halten wir unglaublich fest. Stellt das jemand infrage, reagieren die meisten mit Widerstand und Aggressivität. Wirkliche Veränderungen in Unternehmen dauern sehr lange. Nur wenn die Protagonisten ihre Gefühle verstehen können, ist Veränderung möglich. Sonst ist das Micky Maus-Psychologie.

derStandard.at: Manager werden ihre Mitarbeiter wohl kaum zur Psychoanalyse schicken.

Hoffmann: Denken Sie nur an sich selbst. Was stört Sie im Büro? Zuerst kommen wahrscheinlich ein paar sachbezogene Geschichten, aber innerhalb kürzester Zeit ist man schon im persönlichen Bereich. Erst auf dieser Ebene können Konflikte verstanden werden. Was sind die Auslöser? Man kommt dann sehr rasch in tiefe, psychische Schichten. Das ist nicht unbedingt im Sinne der Verantwortlichen, denn die wollen eher ihre Ruhe haben, den Deckel draufgeben. Charaktere, die das Betriebsklima vergiften oder durch cholerische Anfälle für ein Klima der Angst sorgen, kennt jeder. Das Problem ist, man geht davon aus, dass diese Person eigentlich anders können müsste. Das kann sie aber nicht.

derStandard.at: Wie viel ist durch die Kindheit determiniert?

Hoffmann: Personen sind praktisch zur Gänze genetisch und durch die Lebenserfahrungen determiniert. Das Gehirn ist ein Organ, das sich der Umwelt anpasst. Unsere Erfahrungen beeinflussen die Vernetzung im Gehirn. Sind diese anatomischen Strukturen einmal festgelegt, kann sich der Mensch nicht einfach so ändern. Hoffnung gibt es, weil sich auch später neue Neuronalverbindungen aufbauen. Das geht aber nur langsam und prozessartig.

derStandard.at: Bis zu welchem Alter entwickelt sich die Persönlichkeitsstruktur?

Hoffmann: Bis zum fünften, sechsten Lebensjahr ist sie größtenteils abgeschlossen. In der Pubertät gibt es noch einmal ein Aufbrechen, danach ist die Persönlichkeit weitgehend gefestigt. Je länger diese Netzwerke Bestand haben, desto schneller fließen die Informationen zwischen den Neuronen und je tiefer diese Strukturen eingraviert sind, desto schwieriger sind sie veränderbar.

derStandard.at: Das heißt, ein 60-jähriger Manager wird seinen Führungsstil nicht mehr ändern?

Hoffmann: Auch ein 50-Jähriger nicht mehr. Trotzdem muss man, nehmen wir als Beispiel jetzt den cholerischen Chef, sich bewusst machen, was durch Wutanfälle angerichtet wird. Letztere werden sich vielleicht nicht reduzieren lassen, aber es können ja dann Entschuldigungen folgen. So kann man mit den Störungen des anderen besser leben und sie verarbeiten. Sobald Konflikte in einem Team verbalisiert werden, lassen sie sich auch lösen. Sonst suchen sie sich andere Bahnen und werden in Form von irgendwelchen Aktionen in Szene gesetzt.

derStandard.at: Im Buch schreiben Sie über Manager als narzisstische Persönlichkeiten, etwa Ex-Libro-Chef Andre Rettberg. Lässt sich so auch ein Karlheinz Grasser erklären?

Hoffmann: Grasser kommt aus derselben Riege wie ein Jörg Haider. Der war auch eine narzisstische Persönlichkeit, hat aber intellektuell mehr am Kasten gehabt. Beim Grasser kenne ich das Umfeld zu wenig. Er scheint aber wirklich zu glauben, dass er in seiner Ausstrahlung so überragend ist, dass er die Leute für blöd verkaufen kann. Indem er sich so positioniert, wie er gesehen werden möchte. Als Everybodys Darling, den man eigentlich nicht nicht mögen kann. Dieses narzisstische Element ist in seinen Rechtfertigungsreden so deutlich spürbar, es drückt sich in Selbstmitleid aus. Er ist ja wirklich erschüttert, dass man so ein großartiges Gesamtkunstwerk nicht entsprechend würdigt. Dieses Selbstbild, das demoliert wird, führt dann tatsächlich zu einer inneren Krise.

derStandard.at: Ein Realitätsverlust?

Hoffmann: Absolut, den hat auch der Jörg Haider gehabt. Oder Ex-Libro-Chef Rettberg, der war ein irrsinnig tüchtiger Mensch bis er vom Größenwahn geschüttelt wurde und sich für einen Guru, der nichts falsch gemacht hat, gehalten hat. Diese Selbstüberschätzung, die Leute so abheben lässt, ist dann zumeist der Anfang vom Ende.

derStandard.at: Ist es auch die Position, die so einen Realitätsverlust begünstigt?

Hoffmann: Die Position fördert es zumindest. Diese Einstellung wird aber in der Kindheit geformt und was diesen Leuten fehlt, ist die Reflexionsfähigkeit. Die glauben wirklich, sie sind so süß und alle haben sie lieb. Es gibt da einen interessanten Aspekt, dass nämlich die gestörtesten Individuen in wenig reflektierten Gruppen am ehesten zu Führern auserkoren werden. Weil sie die Fähigkeit haben, etwas zu verkörpern, was die Gruppe wichtig für ihr Überleben hält. Ein weiteres Beispiel ist Ex-Apple Chef Steve Jobs. Der war eine schwer pathologische Persönlichkeit. Unter seinen psychopathischen Ausbrüchen hatten die Angestellten zu leiden. Nur weil jemand geniale Produkte entwickelt, sagt das nichts über die Persönlichkeit aus.

derStandard.at: "Je höher oben, desto pathologischer": Würden Sie das auf so eine einfache Formel reduzieren?

Hoffmann: Man kann es nicht als simple Milchmädchenrechnung bringen, aber: Welcher normale Mensch, der ein gesundes Familien- und Liebesleben möchte, der Freizeit braucht, tut sich solche Tretmühlen an? Ob Politiker oder Wirtschaftsboss, zumeist steht ein ganz starkes narzisstisches Selbst dahinter. Bei vielen Jungen hat schon ein Umdenken stattgefunden. Die fragen beim Bewerbungsgespräch nicht mehr, wie viele verdiene ich, sondern wie sieht es mit meiner Freizeit aus? Wenn Firmen gute Leute wollen, müssen sie als Anreiz schon mehr bieten als nur gute Kohle. Das erklärt auch die Negativselektion.

derStandard.at: Inwiefern?

Hoffmann: Dass tendenziell eher narzisstische oder Borderline-Persönlichkeiten in die Machtpositionen kommen. Bei Konzernen haben sie genügend pathologische Persönlichkeiten am Ruder, vor denen sich ganze Teams fürchten. Die Bilanz stimmt, keiner traut sich was zu sagen. Die Magengeschwüre der Mitarbeiter sind halt eine andere Geschichte. Deswegen braucht es auch ein neues System, das die Persönlichkeitsbildung bei der Ausbildung zur Führungskraft stärker in den Vordergrund stellt. Damit solche Leute wie ein Berlusconi nicht mehr passieren und man in den Chefetagen verantwortungsbewusste, reflektierte Leute hat. (Oliver Mark, derStandard.at, 1.12.2011)