Afghanistan-Experte Philipp Münch von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik erklärt, welche Fehler die internationalen Truppen beim Einsatz in Afghanistan gemacht haben.
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derStandard.at: Welche Fehler sind den internationalen Truppen in Afghanistan passiert?
Philipp Münch: Es war nicht klar, wo man hinwill - das ist das Hauptproblem. Es gibt kein gemeinsames Ziel, welches von allen Akteuren übereinstimmend verfolgt wird. Solange es kein Ziel gibt, kann man keinen Weg und keine Mittel definieren, die aber angebracht wären, um Ziele zu erreichen.
derStandard.at: Warum konnte das passieren?
Münch: Das Problem ist, dass viele Akteure mit unterschiedlichen Interessen aufeinandertreffen. Die ISAF-Mission wird seit 2003 von der NATO geführt. Jedes Vorgehen muss im Nordatlantikrat abgestimmt werden, wo 28 Mitgliedsstaaten das gleiche Stimmengewicht haben. Entscheidungen müssen einstimmig gefällt werden. Es gibt eine Vielzahl von Interessen, die nur unter einen Hut gebracht werden können, wenn entweder Dinge ausgeklammert werden oder man Kompromisse schließt, wo aber viel verwässert wird. Das gleiche Problem existiert auf den nationalen Ebenen, wo Ministerien unterschiedliche Interessen haben. Ich glaube nicht, dass es realistisch ist, dass sich die involvierten Nationen auf genauere Zielvereinbarungen einigen können.
derStandard.at: Aber der Kommandeur der ISAF, General John R. Allen, sagte kürzlich, dass in Afghanistan endlich eine „Trendwende" geglückt sei. Vor allem in den Gebieten im Norden, wo die deutsche Bundeswehr aktiv ist, habe sich die Sicherheitslage positiv entwickelt.
Münch: Die Statistiken der ISAF muss man mit Vorsicht genießen. Es ist auch unklar, was Sicherheitslage überhaupt heißt - es gibt viele glaubhafte Meldungen, dass die Taliban in den nördlichen Gebieten einfach den Kopf unten halten, weil seit 2010 die Amerikaner dort verstärkt vorgehen. Es ist möglich, dass sie wieder verstärkt operieren werden, wenn die ausländischen Truppen abziehen.
derStandard.at: Ist der Afghanistan-Einsatz also gescheitert?
Münch: Wie kann man sagen, dass etwas gescheitert ist, wenn es von Anfang an kein Ziel gab? Wenn man das aber abstrahiert kann man auf jeden Fall sagen, dass die ausländischen Truppen gescheitert sind. Die hochtrabenden Absichten, zum Beispiel einen Rechtsstaat nach westlichem Vorbild zu errichten, wurden nicht erreicht. Was aber gelungen ist, ist offene Kämpfe großen Ausmaßes wie in den 1990er Jahren zwischen Mujaheddin-Gruppen zu unterbinden.
derStandard.at: Was ist von der Afghanistan-Konferenz in Bonn zu erwarten?
Münch: Das ist schwer zu sagen. Die wesentlichen Entscheidungen wurden - wie das bei großen Konferenzen so üblich ist - bereits vorher getroffen. Alle wichtigen großen Länder haben sich dazu entschieden, den Wiederaufbau des Landes auch nach 2014, wenn die internationalen Truppen abziehen sollen, zu unterstützen. (flog, derStandard.at, 5.12.2011)