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Windkraftanlagen müssen einiges aushalten: Wenn sich die Rotorblätter drehen, entstehen enorme Fliehkräfte.
Kunststoffe ersetzen nach und nach Metalle, wenn es um anspruchsvolle Materialien geht. Insbesondere in Verbindung mit Glas- oder Kohlenstofffasern erhärten sie Raketen genauso wie Flugzeuge und Windräder.
Zwischen 20 und 60 Metern sind Rotorblätter moderner Windkraftanlagen lang. Wenn sie sich drehen, entstehen enorme Fliehkräfte, die das Material stark beanspruchen. Sind die Rotorblätter zu schwer, droht die Anlage zu zerreißen. Deshalb werden dafür leichte Kunststoffe verwendet, die mit Glas- oder Kohlenstofffasern verstärkt werden. Nur so können sie den Belastungen im Betrieb standhalten.
Solche Fasern werden erzeugt, indem geschmolzenes Glas beziehungsweise Kohlenstoffverbindungen durch eine Lochschablone gepresst und dann zu hauchdünnen Fäden abgezogen werden. Diese Fäden können über zwei Kilometer lang sein und je nach Material eine Durchmesser von fünf bis zwanzig Mikrometern haben. Damit sind sie nicht einmal halb so dick wie ein Menschenhaar.
Wie diese dünnen Fasern den Kunststoff verstärken können, erklärt Ralf Schledjewski von der Montanuniversität Leoben: "Es ist ähnlich wie bei einem Seil. Wenn eine einzelne Faser bricht, werden die Kräfte auf die benachbarten Fasern umgeleitet, ohne dass das ganze Seil reißt. Bei Glas- bzw. Kohlenstofffasern sorgt der umgebende Kunststoff für die Weiterleitung der Kräfte." Es entsteht ein Verbundstoff, der eine gleich hohe Festigkeit wie Eisen aufweist, aber nur ein Viertel davon wiegt.
Die hohe Festigkeit erreichen die Verbundstoffe allerdings nur in jener Richtung, in der die Fasern liegen. Faserverstärkte Kunststoffe sind also nur dann sinnvoll, wenn man weiß, in welche Richtung das Material belastet wird. Im Falle der Windräder zieht die Fliehkraft das Material nach außen. Die Fasern liegen also vor allem längs im Rotorblatt.
Nicht ganz so offensichtlich sind die Krafteinwirkungen auf einen Flugzeugrumpf. Als Schwachstellen gelten die Fensteröffnungen. Sie werden deshalb möglichst klein gehalten. Diesem Problem begegnete der Hersteller Boeing, indem er einen Flugzeugrumpf aus faserverstärktem Kunststoff entwickelte. Nun wirbt das Unternehmen damit, das Flugzeug mit den größten Fenstern zu haben. Die Gewichtsersparnis von 20 Prozent soll außerdem zu einem deutlich geringeren Treibstoffverbrauch führen.
Weniger Verschleiß
Aber nicht nur Festigkeit und Gewicht sind in der Luft- und Raumfahrt von Bedeutung. Auch der Materialverschleiß bei beweglichen Teilen spielt eine wichtige Rolle. Ralf Schledjewski erklärt, warum selbst Hochleistungsgleitlager in den Triebwerken der Ariane-5-Rakete aus Kunststoffverbund bestehen: "Glasfasern werden bei sehr hoher Beanspruchung spröde und sind für diese Zwecke deshalb ungeeignet. Kohlenstofffasern hingegen verhalten sich bei Brüchigkeit wie Schmierstoff und verringern somit den Verschleiß."
Im Vergleich zu Metall haben Verbundkunststoffe einen weiteren Vorteil. Sie sind durchlässig für Radiowellen. "Viele Oberklassewägen haben Radio-, GPS- und Mobilfunkempfang", erläutert Schledjewski, "und dennoch sieht man meist keine Antennen mehr. Das liegt daran, dass sie sich oft im Heckdeckel unter glasfaserverstärktem Kunststoff befinden."
Verbundstoffe vom Band
Faserverstärkte Kunststoffe klingen also ein bisschen nach Allheilmittel. Warum sie Metall dennoch nicht ganz abgelöst haben, liegt vor allem an der aufwändigen und damit teuren Herstellung. Hier setzen Schledjewski und seine Mitarbeiter an. Sie haben eine Methode entwickelt, wie faserverstärkte Kunststoffe in Masse produziert werden können und trotzdem flexibel für verschiedenste Bauteile und unterschiedliche Belastungsrichtungen einsetzbar sind. Dafür werden fünf bis zehn Millimeter breite faserverstärkte Kunststoffbänder vorproduziert. Diese Bänder können dann beliebig übereinandergelegt und miteinander verschweißt werden.
Bleibt nur ein Manko: Das Recycling wird schwieriger, weil bei Verbundstoffen zuerst zwei Materialien voneinander getrennt werden müssen. Dennoch ist Schledjewski davon überzeugt, dass sich Verbundkunststoffe bei einer ganzheitlichen Bewertung rechnen: "Natürlich ist es einfacher, Blech in die richtige Form zu drücken, als zwei Materialien zu kombinieren", sagt Schledjewski, "aber wenn es darum geht, dass etwa ein Auto auch energiesparend sein soll, ist klar, welches Material besser abschneidet." (DER STANDARD, Printausgabe, 07.12.2011)