"Im Netz der Nachricht" ist das zweite gemeinsame Buchprojekt der in Salzburg ansässigen Autoren Martin Sturmer und Thomas Holzinger. Als Extra findet der Leser eine 30-seitige Newsroom-Strategie im Anhang.

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"Im Netz der Nachricht - Die Newsroomstrategie als PR-Roman" ist im Springer-Verlag erschienen.

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Wie aus dem Nichts bricht über den Salzburger Pharmakonzern Fidelio AG ein Shitstorm herein und bringt den Pressesprecher Dr. Kanter in die prekärste Situation seiner Laufbahn. Das neu zugelassene Malaria-Medikament Anopharm hat in drei Fällen zu schweren Nebenwirkungen geführt und die Angehörigen haben die Leidensgeschichten der Erkrankten auf Facebook geteilt. Die österreichischen Medien verwerten den Skandal mit Freude und Kanter, der seit Jahren im Geschäft ist und regelmäßig Chefredakteure und ORF-Intendanten zum Essen ausführt, weiß sich zum ersten Mal in seiner Karriere nicht zu helfen.

Die Autoren Thomas Holzinger und Martin Sturmer, beide Geschäftsführer der Mediaclub GmbH, haben mit ihrem Roman "Im Netz der Nachricht" ein belletristisches Fachbuch abgeliefert, dass "die Geschichte von den Medien der Menschen", also Social Media, selbst in eine Geschichte verpackt. Die literarische Klammer soll laut den Autoren "jenes Umfeld bilden, das sich in theoriegeleiteten Ersatzerklärungen so schwer beschreiben lässt."

Der Brief an Zuckerberg

Um den Skandal so schnell wie möglich einzudämmen, beschließt der Dr. Kanter als PR-Profi alter Schule den Facebook-Geschäftsführer Mark Zuckerberg für die Verbreitung der Informationen zu Rechenschaft zu ziehen, schreibt einen hoch offiziellen Brief und macht sich damit zum Gespött des Unternehmens. "Ich gestehe offen, dass mir Facebook nicht liegt, nicht liegen wird und nicht liegen muss", verteidigt er sich Tags darauf bei der Vorstandssitzung, "Es ist eine Erscheinung unserer Zeit, Teil einer gesellschaftlichen Realität, die ich nicht kenne. Es gibt keinen Grund, weshalb ein Konzern wie der unsere hochtechnologische Erkenntnisse der Pharmazeutik auf Hauptschulniveau diskutieren sollte. Diese Auseinandersetzung können wir nur verlieren."

Der totale Kontrollverlust

Marketingchef und Konkurrent MAS Klaus Biber hat auf dieses Eingeständnis nur gewartet, nutzt geistesgegenwärtig seine Chance und bringt das neu zu schaffende Social-Media-Ressort unter seine Fittiche. Kanter kann den plötzlichen Sturz seiner kommunikativen Vormachtstellung nicht begreifen und ertränkt abends mit Studienfreund Jojo-Joe sein Schicksal in jeder Menge Alkohol. Es kommt wie es kommen muss: Kanter kracht mit seinem Auto frontal gegen einen Baum und schafft damit einen physischen Niveauausgleich zu seiner beruflichen Situation.

Die Vermessung der Welt

Als der Romanheld allein im Krankenhaus erwacht, ist er am Tiefpunkt angelangt. Bewegungsunfähig und schwer deprimiert beschließt er beim Besuch seiner Assistentin Marion Weirather, mit der perfekten Gegenstrategie Klaus Biber das Social-Media-Ressort wieder abzuluchsen. Er beginnt sich in die Thematik einzulesen, selbst in den Netzwerken aktiv zu werden. "Er blätterte in den Büchern zu den Nachrichtenfaktoren. Die beschrieben, was ein Ereignis können musste, um in die Medien zu kommen. Es war ein guter Beginn, gewiss, aber nicht ausreichend für eine Welt, in der autoritäre Regimes mit Twitter, Facebook und Mumm aus ihren teuren Palästen gefegt wurde."

Während Kanter sich akribisch an eine moderne Nachrichtenstrategie heran arbeitet, führen Konkurrent Biber und die neu engagierte Social-Media-Dame Vanessa Brandmaier vor, wie man es nicht machen sollte. Ohne Abstimmung mit der PR-Abteilung werden Fake-Accounts angelegt, um User-Zahlen, Likes und Kommentarfrequenz zu erhöhen, die Firmengeschichte wird kurzerhand mit unwahren Details aufgemotzt und medizinische Fragen werden mit jugendlicher Attitüde beantwortet. Anfangs geht der Plan auf, da keiner der Vorstände im "Social Media Ghetto" aktiv ist. Das Duo hat allerdings nicht mit dem rekonvaleszenten "Chef der Holzhütte" Dr. Kanter gerechnet, der bei der Vorstandssitzung am Ende des Romans seine neu gewonnen Erkenntnisse geschickt ausspielt und die Hoheit über die Sozialen Medien zurückerobert. Nachdem er alle Abteilungen persönlich besucht und befragt hat, entwirft eine passende Newsroom-Strategie für den angeschlagenen Pharmakonzern und bringt parallel den Salzburger-ORF-Intendanten dazu, zur ausgestrahlten Anopharm-Doku einen Gegendarstellung zu senden.

Sittenbild der Medienlandschaft

Auf 162 Seiten übt sich Kanter in Selbstreflexion und Überwindung seiner Eitelkeit, um die Tür für den Eintritt in die sozialen Medien zu öffnen und wird währenddessen doch nicht zum besseren Menschen. Nebst einer beispielhaften Abhandlung über Erfolg und Misserfolg in Sozialen Medien zeichnen die Autoren ein Sittenbild der österreichischen Medienlandschaft. Am deutlichsten wird die fragwürdige Moral beim Businesslunch mit dem Salzburger ORF-Intendanten Mendelsberger im Hangar 7. Beim Gespräch über den missglückten Fernsehbeitrag schiebt dieser die Schuld ohne Umwege auf seinen Redakteur: "Glaub´ mir, ich würde solche Leute lieber heute als morgen loswerden. Aber du kennst das ja: Einmal ORF, immer ORF. Du wirst solche Leute nur los, wenn Sie dir vor laufender Kamera die Pistole an den Kopf halten."

Newsroom-Strategie im Anhang

Am Ende des Romans hat Dr. Kanter die Funktionsweise sozialer Medien verstanden und mit ihm der Leser. Die Autoren schaffen es in ihrem Entwicklungsroman am Beispiel eines Shitstorms die Gefahren und Potentiale digitaler Kanäle in ein realistisches Licht zu rücken. Mit dem ehrgeizigen und ich-bezogenen Dr. Kanter bieten sie dem Leser einen typischen österreichischen Arbeitsyuppie als Identifikationsfläche. Insgesamt ein empfehlenswertes Buch, das für Social-Media-Einsteiger fernab von lehrmeisterhaften Fachbuchwissen die Transformation einer PR-Abteilung ins digitale Zeitalter veranschaulicht. (Tatjana Rauth/derStandard.at/12.12.2011)