Auf Crashkurs in Klagenfurt: Die Berliner Autoren Karsten Krampitz (li.) und Peter Wawerzinek.

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Zwei Berliner Schriftsteller als Klagenfurter Stadtschreiber, jeweils fünf Monate einquartiert in ihrer Kärntner Dichterklause: Das ist die Versuchsanordnung, der sich Karsten Krampitz, Publikumspreisträger des Ingeborg-Bachmann-Lesewettbewerbs, und sein Amtsnachfolger Peter Wawerzinek, 2010 Gewinner des Bachmann-Preises, aussetzten. Der Briefwechsel der beiden Literaten erscheint nun unter dem Titel "Crashkurs Klagenfurt. Poesie und Propaganda." Eine Reflektion über ein Bierzelt voller Nazis, Linkskurven in Lambichl, Wirtshausschlägereien und eine politische Hoffnungsregion - eingeleitet von einem kleinen Kärnten-Test:

derStandard.at: Herr Krampitz, Herr Wawerzenik: Was sind Strankalan?

Peter Wawerzinek: Ich glaube, das kann man essen. Ich denke ... Mohrrüben. Nein, Bohnen. Grüne Bohnen!*

Karsten Krampitz: Wir haben ja unter kommunistischem Joch gelebt, und sind damals mit dem Spruch auf die Straße gegangen "Keine Experimente mehr". Folglich war ich sehr vorsichtig mit dem, was ich in Klagenfurt gegessen habe. Aber ich weiß zumindest, was Krapferl sind.

derStandard.at: Sie waren jeweils fünf Monate als Stadtschreiber in Klagenfurt und haben Ihre Erfahrungen in einem Briefwechsel verarbeitet. Wie sieht es nun aus, das so genannte Kärntner Wesen?

Krampitz: Kurz und knapp könnte man sagen: Herz in Ketten, aber Leber kaputt. Ich habe dieses Phänomen in einem Buchkapitel beschrieben. Dazu muss man wissen, dass es in der evangelischen Kirche Leute gegeben hat, die Jörg Haider nach seinem Tod in einem Atemzug mit Martin Luther genannt haben. Ein gewagter Vergleich, aber nicht ganz unwahr. Denn über den Reformator hat Karl Marx einmal gelästert: "Er hat den Leib von der Kette emanzipiert, weil er das Herz in Ketten gelegt hat." Ähnlich sieht es in Kärnten aus. Das Land wird heute zwar von den Freiheitlichen regiert, aber mit Freiheit hat das nichts zu tun.

derStandard.at: Zumindest Ihre Leber hat den Aufenthalt gut überstanden?

Krampitz: Die picheln schon sehr ordentlich, in Klagenfurt.

derStandard.at: Picheln?

Krampitz: Die Kärntner sind überaus trinkfest. Und dann heißt es aufpassen: Der gemeine Kärntner klärt Probleme im Wirtshaus und nicht davor. Da sagt keiner "Lass uns rausgehen, und das Ganze vor der Tür klären". Dieses Warnsignal kennen die Leute nicht.

derStandard.at: Der typische Kärntner Politiker, so lautet ein Fazit in "Crashkurs Klagenfurt", beruft sich immer auf einen Feind von außen. Den Ausländer, die Wiener, die Anderen. Woher kommt diese Haltung?

Wawerzinek: Das rührt von dem Bewusstsein, dass die Kärntner, wenn sie denn richtige Kärntner sind, zumindest zu 30 Prozent Ausländer sind - weil ja viele slowenische Wurzeln haben. Wenn du nur über die Fremden nachdenkst und nie über die quasi fremden Anteile in dir selbst, führt das natürlich zu überspannten Reaktionen.

derStandard.at: Wie wurden Sie in Klagenfurt aufgenommen?

Krampitz: Sehr freundlich, wirklich sehr freundlich.

Wawerzinek: Jetzt fängt Karsten wieder an zu schwärmen. Bei Kärnten wird er immer larmoyant. Dabei ist die Freundlichkeit, die einem vorgespielt wird, nichts weiter als eine Fassade, die einstürzt, sobald man auseinander gegangen ist. Die Kärntner sind einfach nicht liebesfähig. Die können gar nicht streicheln. Trotz der nach außen gezeigten Freizügigkeit herrscht eine verklemmte Haltung wie in den sechziger Jahren vor.

derStandard.at: Unmittelbar nach Verleihung des Bachmann-Preises meinten Sie: "Ich bin ein wenig Österreicher." Auch in einem Ihrer ersten Briefe in "Crashkurs Klagenfurt" geben Sie sich milde, betonen, dass Sie die Stadt einmal auf sich wirken lassen wollten, um "erst später zu befinden". In Ihren letzten Briefen wirken Sie jedoch nachgerade anklagend, mitunter verbittert.

Wawerzinek: Das mag sein. Ich habe mit der Zeit schon versucht, mich der professionellen Umarmung zu entziehen, ja, mich sogar ein wenig dumm zu stellen. Damit bin ich eigentlich am besten gefahren. Dazu kam, dass die Leute dort offenbar immer dem neuesten Zirkus hinterher laufen. Bei meiner Antrittslesung waren 70 Leute, drei Monate später kamen nur noch 25.

derStandard.at: Immerhin hat Ihnen die Stadt Klagenfurt freie Kost und Logis gewährt, dazu ein Stipendium in Höhe von 1200 Euro. Der Band "Crashkurs Klagenfurt" wird vom Land finanziell unterstützt. Kärnten war auch gut zu Ihnen.

Wawerzinek: Gewiss. Aber vonseiten der Politik hatte ich den Eindruck, dass ein Stadtschreiber einfach als notwendiges Übel gesehen wurde. Bei den Menschen hat das Stadtschreiber-Dasein natürlich auch Neid ausgelöst. So frei zu sein, nonchalant dahin zu leben, das irritiert natürlich.

Krampitz: Andererseits sind wir von den Klagenfurter Schriftstellern enorm unterstützt worden. Das hat uns wirklich überrascht. In Berlin ist das ganz anders. In Klagenfurt hingegen kam etwa ein Egyd Gstättner sofort auf mich zu. Den konnte ich immer um Rat fragen. Auch einen Josef Winkler.

derStandard.at: Der ja in seinen Texten immer wieder gegen die Kärntner Unsitten aufsteht.

Krampitz: Also für mich war Klagenfurt das Paradies. Wir wollten mit unserem Buch kein primitives Kärnten-Bashing betreiben. Hier leben wunderbare Menschen. Und ich bin auch davon überzeugt, dass jene, die mit Fremdenfeindlichkeit und Ausländerhass nichts anfangen können, in der Mehrheit sind. Aber bei der Politik konnte ich mit ein paar Aktionen richtig schön provozieren. In Berlin wäre ich damit nie aufgefallen. Etwas frischen Wind hinein zu bringen, das gehört zum Amt eines Stadtschreibers einfach dazu.

derStandard.at: Das könnten Ihnen die Kärntner aber missverständlich auslegen: In einem Ihrer Briefe zitieren Sie den Schriftsteller Markus Liske mit folgendem Satz: "Der einzige Antifaschist in Kärnten ist eine Linkskurve in Lambichl." Ist das nicht ein zu harscher Befund?

Krampitz: Liske liegt nicht komplett daneben, aber wir haben diese Aussage in unserem Buch auch relativiert. Natürlich ist es für einen Kärntner in diesem Umfeld eine enorme Leistung, gegen den politischen Mainstream aufzustehen. Konkret nehme ich aber mit dem Zitat Bezug auf meine Erlebnisse bei diesem Rechtsradikalen-Treffen am Ulrichsberg.

derStandard.at: Nach dessen Besuch - im Programm war unter anderem ein Gottesdienst - Sie in lokalen Medien mit dem Satz zitiert wurden: "Dass ich das noch erlebe! Ein Bierzelt voller Nazis, die Gott um Vergebung bitten." Der Freiheitliche Klagenfurter Bürgermeister Christian Scheider, der bei dem Treffen eine Rede hielt, verlangte eine Entschuldigung.

Krampitz: Da gibt es nichts zu entschuldigen. Ich hätte mich gern mit dem Bürgermeister über sein Geschichtsbild unterhalten. Dort wurde der Zweite Weltkrieg wie ein Naturereignis dargestellt, das über das Land kam. In den Reden wurden die getöteten Kärntner Abwehrkämpfer aus den Jahren 1918 bis 1920 mit den Opfern der NS-Zeit in einen Topf geworfen. Wie überhaupt sich bei dieser Veranstaltung Szenen abgespielt haben, die mich fassungslos gemacht haben. Ich wurde von Leuten in Thor-Steinar-Klamotten umringt, regelrecht bedrängt, bis uns dann die Polizei geholfen hat. Ich hatte da auch Angst.

derStandard.at: Sie hingegen versetzten halb Kärnten in helle Aufregung, nachdem Sie sich das Gästebuch der Jörg-Haider-Gedenkausstellung im Klagenfurter Bergbaumuseum "entliehen" hatten. Wenige Tage darauf war der Band wieder auf seinem Platz. Sie haben das Gästebuch in der Literaturzeitung Volltext rezensiert. Was sagen die Einträge über das Verhältnis der Kärntner zu ihrem verstorbenen Landeshauptmann?

Krampitz: Erstaunlich war, wie dünn das Buch war. Die Ausstellung lief bereits einige Monate, aber es kamen ja kaum Besucher. Zu diesem Zeitpunkt war wohl vom einstigen Nimbus Jörg Haiders nur noch wenig übrig. Das Bemerkenswerte an den Gästebucheinträgen war die infantile Unmündigkeit der Verfasser. Als die Schau im Jahr 2009 lief, war ja schon viel über die Skandale aus der Haider-Zeit bekannt. Die Millionen-Fehlinvestitionen rund um das Klagenfurter Stadion, der Milliardenverluste der Hypo Alpe-Adria. Und trotzdem halten die Leute unverbrüchlich an dem Mann fest.

Wawerzinek: Die Menschen hatten einfach ein unverzagtes Vertrauen in ihn. Er vermittelte den Eindruck, Probleme zu lösen, bevor es sie überhaupt gab. Dieses Gottgleiche bleibt natürlich in den Köpfen hängen. Sein Tod führte bei dieser Glaubensgemeinschaft schließlich zu einem erstaunlichen Denkmodell: Haider hat zwar auch Fehler gemacht, aber aufgrund seines frühen Todes hat er keine Zeit gehabt, sie zu korrigieren.

derStandard.at: Würden die Wähler noch einmal den gleichen Fehler begehen?

Krampitz: Das glaube ich nicht, dass das noch einmal funktioniert. Die Kärntner nehmen notgedrungen eine Vorreiterrolle ein. Sie haben jene Erfahrungen bereits gemacht, die Österreich noch bevor stehen. Hoffnung gibt allein, dass dieser rechte Zahnklempner, der jetzt FPÖ-Chef ist, an Haider niemals heran kommt. Der war ja im Vergleich ein intellektuelles Schwergewicht.

derStandard.at: Dem Sie offenbar mit Leidenschaft hinterher geforscht haben: Nach Ihrer Rückkehr aus Klagenfurt ließen Sie sich in Berlin die Stasi-Akten von Jörg Haider ausheben. Welche neuen Erkenntnisse gaben die Dokumente der DDR-Staatssicherheit preis?

Krampitz: Haider wurde - was jetzt wenig überraschend ist für den Geheimdienst eines sozialistischen Staates - bereits in seinen politischen Anfangsjahren als Rechtsextremist eingestuft. Zudem belegen die Akten, dass Haider 1989, als er zum ersten Mal Kärntner Landeshauptmann war, während eines Besuchs in West-Berlin bei Treffen der rechtsextremen Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP) aufgetaucht ist.

derStandard.at: Jörg Haider ist Geschichte, welchen Beitrag soll "Crashkurs Klagenfurt" zur Geschichte Kärntens leisten?

Wawerzinek: Wir wollten kein Buch schreiben, das bekannte Klischees wiederholt. Wir sind nicht die Wissenden, sondern nur Bescheidwissende, verstehen uns also nicht als Prediger, die in den Busch kommen, um Ureinwohner zu missionieren.

Krampitz: Wie gesagt: ich bin kärnten-positiv. Dort gibt es eine Zivilgesellschaft, die im Kommen ist. Ich war ja in meinen ersten Leben Betriebswirt: Wenn Kärnten eine Aktie wäre, dann würde ich sie jetzt nicht verkaufen. (Stefan Schlögl, derStandard.at, 12.12.2011)