Die vier Partyleichen haben die Aufforderung "Entspannung im Zug" wörtlich genommen. Auf den dunkelblauen Lederbänken gleich nach dem Stiegenaufgang schläft es sich offensichtlich hervorragend. Nicht einmal das Ruckeln bei der Abfahrt kümmert die vier in der oberen Etage links und rechts am jeweiligen Wagenende drapierten Burschen. Sie haben die neue Westbahn als billigen Disco-Transport identifiziert und erholen sich im Zug nach Freilassing von einer durchzechten Nacht in der Bundeshauptstadt.

Während sich das Triebfahrzeug Sonntag früh seinen Weg über Weichen und Gleise des noch stockfinsteren Westbahnhofsgeländes bahnt, verpassen die jungen Männer freilich einen historischen Moment: Der erste Zug des ÖBB-Konkurrenten Westbahn GmbH von Wien nach Freilassing nimmt um 5.32 Uhr fast pünktlich Fahrt auf. Bis dahin war es noch einigermaßen hektisch zugegangen auf Bahnsteig 3. Westbahn-Chef Stefan Wehinger hatte seiner Crew noch eilig Anweisungen erteilt. Die Anspannung war den inklusive Chef in himmelblauen Anoraks hektisch herumlaufenden Westbahnern anzusehen. Das EDV-System sei abgestürzt, seufzt eine Zugbegleiterin mit glühenden Wangen entschuldigend. Sie wirft einen letzten prüfenden Blick in den Instrumentenkasten, ehe sie sich mit "aber jetzt läuft eh wieder alles" selbst Mut macht.

Mit Argusaugen verfolgt haben das nervöse Treiben die gefürchteten Bahn-Freaks. Wäre der Wiener Westbahnhof nachtsüber geöffnet, hätten sich einige der mit Fotoapparaten und monströsen Objektiven Bewaffneten wohl schon vor vier Uhr bei den blau-grün-weiß lackierten Zügen postiert. Nun zelebrieren die "Pufferküsser" den Fall des staatlichen Monopols im Personenverkehr wie ein Hochamt. Dass nach dem Hochfahren des IT-Systems die mobilen Bankomat- und Kreditkartenterminals streikten, stört sie nicht, schließlich haben sie ihre Fahrkarten bereits vor Wochen via Internet geordert. Dabei hätte ihnen die Sitzplätze ohnehin niemand streitig gemacht, mehr als 30 zahlende Fahrgäste fanden sich in den sechs Doppelstockwaggons zu nachtschlafener Zeit mit Sicherheit nicht ein. "Der ÖBB-Railjet wackelt eindeutig weniger", ätzt einer, als der "Westjet" durch den Wienerwald kurvt.

Klar ist nach einer Passage durch den Zug: Die Mehrheit der Westbahnfahrer war nicht ganz freiwillig an Bord. Das Team des Schweizer Bahnherstellers Stadler Rail zum Beispiel fieberte der Premiere geradezu entgegen; detto der mit einem Laptop bewaffnete Abgesandte des Westbahn-Aktionärs SNCF. "Es ist schon schön, wenn nach so harter Arbeit doch alles ziemlich gut funktioniert", sagt der für das internationale Geschäft verantwortliche Stadler-Manager Jürg Gygax voller Stolz. In diesem Sinne köpften die Westbahn-Ausrüster die mitgebrachte Flasche Schampus auch erst nach dem Aufenthalt in St. Pölten.

So nobel hatten es die Fahrgäste nicht. Im Vergleich zum Ex-Monopolisten allerdings kostengünstig: Ein kleiner Espresso ist um einen Euro zu haben und ein halber Liter Mineralwasser um 2,50 Euro. Wie die Zahlungsterminals scheint auch der Getränkeautomat an Kinderkrankheiten zu leiden, denn es purzelten gleich drei Energydrinks heraus, obwohl nur Geld für eine Dose eingeworfen worden war. Apropos Unpässlichkeiten: Seinem Rufnamen wurde der erste Westbahnzug ab Wien nicht ganz gerecht: "Telefonieren im Zug" war nicht uneingeschränkt möglich. Aber diesbezüglich sind Bahnfahrer in Österreich ohnehin nicht verwöhnt.

Nimmt man die Verpflegung vom Bistro-Abteil zum Sitzplatz mit, fällt rasch ein weiteres Manko auf: An Mistkübeln wurde gespart - sowohl bei den Sitzplätzen als auch bei Ein- und Ausstiegen. Man räume den Müll ohnehin laufend ab, sagt eine Stewardess, wie die jeweils für einen Wagen zuständigen Schaffnerinnen bei der Westbahn genannt werden.

Exekutionsantrag gegen ÖBB

Forsch geht Westbahn-Chef Wehinger nach dem Spruch des Kartellgerichts gegen die ÖBB vor. Da die Westbahn als einzige Privatbahn nicht ins ÖBB-Kursbuch aufgenommen und der Fahrplan weiterhin ohne Zusatzinfo über die 14 täglichen Westbahnzüge verkauft werde, habe man einen Exekutionsantrag eingebracht. Die Kursbücher könnten also bereits heute, Montag, beschlagnahmt werden. Die ÖBB kündigte Rekurs an.

Ein kurzes Leben könnte den Raucherzonen in der Westbahn beschieden sein. Da ab 1. Jänner in Taxis nicht mehr gepofelt werden darf, werden die Behörden Raucherzellen im öffentlichen Raum Bahn wohl nicht dulden. (Luise Ungerboeck, DER STANDARD; Print-Ausgabe, 12.12.11)