So könnten Spuren des Higgs-Bosons aussehen. Nun konnte sein Existenzbereich weiter eingeengt werden. Wenn, dann liegt er im Massebereich zwischen 116 und 127 Gigaelektronenvolt.

Foto: CERN

Vor allem die Medien nennen es gern auch das Gottesteilchen. Doch diese Bezeichnung ist seinem eigentlichen Namensgeber, dem britischen Physiker Peter Higgs gar nicht recht, wie er vor drei Jahren in einem Interview betonte: "Ich finde das peinlich. Obwohl ich selbst kein gläubiger Mensch bin, denke ich mir, dass das jene Art von falscher Begriffsverwendung ist, die bestimmte Menschen kränken könnte."

Das von Higgs 1964 vorgeschlagene Teilchen, das laut den Berechnungen seines Erfinders den anderen Teilchen ihre Masse verleihen würde, kam angeblich durch den Redakteur eines Texts von Physik-Nobelpreisträger Leon Lederman zu seinem unangebrachten Beinamen: Lederman schrieb etwas gar kräftig vom "goddam particle", also dem "gottverdammten Teilchen". Übrig blieb dann das Gottesteilchen.

Für die Suche nach ihm wurden in den vergangenen Jahrezehnten fast keine Kosten und Mühen gescheut - zumindest in Europa. Den US-Amerikanern war der Bau des von Lederman propagierten Superconducting Super Colliders (SSC) 1993 zu teuer. Hätte man diese Maschine weitergebaut, dann wüsste man wohl längst, ob es das Higgs-Teilchen gibt oder nicht. Denn der SSC wäre noch um einiges größer geworden als der Large Hadron Collider (LHC) des Cern in Genf, wo man seit Herbst 2008 auch nach dem Higgs-Boson fahndet.

Am Dienstag gaben Physiker in Genf nun bekannt, dass sie nach eigenen Angaben substanzielle Hinweise auf die Existenz dieses im sogenannten Standardmodell noch fehlenden Elementarteilchens haben - ohne freilich seine Entdeckung bestätigen zu können. Für diese Spurensuche werden in dem 27 Kilometer langen Ringtunnel des Teilchenbeschleunigers Protonen wieder und wieder zum Kollidieren gebracht, bis jetzt mehr als 400 Billionen (!) Mal. Diese riesigen Zahlen sind deshalb nötig, weil Higgs nicht direkt sichtbar ist und sehr schnell in andere Teilchen zerfällt. Entsprechend selten wäre in dem Regen von Teilchen aus Elektronen, Myonen und Quarks, der bei den Kollisionen im LHC entsteht, auch ein Higgs-Boson dabei. Mit den Detektoren CMS und Atlas werden diese Zufallsprodukte, die bei den Kollisionen entstehen, nach auffälligen Signaturen abgesucht.

Die neusten Ergebnisse der Auswertung zeigen nun, dass es sowohl bei CMS und Atlas im Massebereich zwischen 116 und 127 GeV (Gigaelektronenvolt), eine "interessante Anhäufung" dieser Zerfallsereignisse gab. Sollten sich die Messungen bestätigen, dann würde das bedeuten, dass das Higgs-Teilchen ungefähr so schwer ist wie zwei Kupferatome.

Für Manfred Krammer vom Institut für Hochenergiephysik (Hephy) der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Wien bedeuten diese Ergebnisse zweierlei: Zum einen ist ein riesiger Bereich ausgeschlossen, in dem das Higgs-Teilchen nicht vorkommen kann. Zum anderen ist für ihn erstaunlich, dass die Ergebnisse der Detektoren CMS und Atlas fast identisch seien, da sie völlig unterschiedlich arbeiten würden.

Noch sei die Zahl der beobachteten Ereignisse trotz der 400 Billionen Kollisionen aber zu klein, um eine genaue Aussage treffen zu können. Wenn der Beschleuniger und die Experimente genauso gut laufen wie heuer, sollten die Forscher im Laufe des nächsten Jahres die drei- bis vierfache Datenmenge gesammelt haben, so Krammer - "und damit müsste sich auch dieser Bereich eindeutig klären lassen".

Hintergrund: Margaret Thatcher und das Higgs-Boson

Der britische Physiker David Miller veranschaulicht die Funktionsweise des Higgs-Bosons mit einer Cocktailparty: Die Teilnehmer einer politischen Feier sind in einem Raum gleichmäßig verteilt. Plötzlich kommt Margaret Thatcher herein und schreitet durch die Menge; augenblicklich bildet sich eine große Traube an Partygästen um sie. Dadurch erhält sie eine größere Masse. Läuft sie weiter, treten Partyteilnehmer, denen sie sich nähert, auf sie zu. Andere, von denen sie sich entfernt, wenden sich von ihr ab und wieder ihren ursprünglichen Gesprächspartnern zu.

"In drei Dimensionen und mit allen Komplikationen der Relativität ist das der Higgs-Mechanismus", erklärt Miller. Der Physiker vergleicht das Higgs-Boson mit einem Gerücht, das die Runde durch den Partyraum macht: Der Raum selbst ist das Higgs-Feld. Das Gerücht beginnt in einer Ecke, Leute stecken die Köpfe zusammen, um es zu hören. Dann wandert es in Richtung der anderen Ecke - als Zusammenballung von Menschen. Solche das Gerücht weitertragenden Zusammenballungen waren es letztlich auch, die der Ex-Premierministerin Thatcher Masse verliehen haben. Thatcher war ein Teilchen, das Masse bekam. Das Gerücht, Symbol des Higgs-Bosons, bildet ebenfalls Cluster und muss demnach eine Masse haben. (tasch, APA, red/DER STANDARD, Printausgabe, 14.12.2011)