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Karl-Theodor zu Guttenberg und Neely Kroes, deren Ankündigung fast unterging.

Foto: EPA/BERNAL REVERT

Die Begleitgeräusche waren so laut, dass der Sache selbst kaum jemand Aufmerksamkeit schenkte. Als Neely Kroes, EU-Kommissarin für Digitale Agenda, den ehemaligen deutschen Wirtschafts- und Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg als EU-Berater in Fragen der Internetfreiheit vorgestellt hat, fiel wegen seiner Plagiatsaffäre fast unter den Tisch, dass auch die betreffende "No-Disconnect"-Strategie nicht frei von Unstimmigkeiten ist.

Die Kommission verfolgt mit "No Disconnect" das Ziel, "Aktivisten zu unterstützen, die unter repressiven Regierungen leben und Technologien verwenden, um sich zu organisieren, mobilisieren und ihre Rechte durchzusetzen". Neben Einschränkungen des Internets in Russland, Syrien oder China sei die Nutzung sozialer Netzwerke im arabischen Frühling ein Weckruf für die EU gewesen, sich verstärkt für Internetfreiheit und Menschenrechte einzusetzen, so Kroes.

"Internetüberlebenspakete"

Blogger und Aktivisten in betroffenen Ländern sollen unter anderem mit "Internetüberlebenspaketen" ausgestattet werden, also Datenhosting, Hard- und Softwarepaketen, "die Menschen helfen, Zensur und Überwachung zu umgehen." Eine heikle Angelegenheit, wenn zum Aushebeln von Restriktionspraktiken in souveränen Drittstaaten aufgerufen wird – insbesondere vor dem Hintergrund, dass die EU erst Ende November selbst vom EU-Gerichtshof gewarnt wurde, das Anti-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA) wie verhandelt umzusetzen.

Beim ACTA handelt es sich um ein Anti-Piraterie-Abkommen, das technische Maßnahmen vorsieht, um Urheberrechtsverletzungen aufzuspüren und zu ahnden. Staaten ohne Internetzensur wie Brasilien oder Indien haben ACTA harsch kritisiert, genauso wie nun der Gerichtshof der EU: "Allgemeine Internetfilter verstoßen gegen die Grundrechte der europäischen Bürger, insbesondere gegen jenes des freien Informationsflusses online."

Netzfreiheit da und dort

Federführend bei der Implementierung von ACTA in der EU ist die Europäische Kommission; genau jene Stelle, die nun mit "No Disconnect" auf Internetfreiheit pocht – offenbar solange sie außerhalb der Union durchgesetzt wird. Die Reaktion in Europa wäre nicht abzuschätzen, würden umgekehrt China oder Syrien europäischen Internetnutzern auf offiziellem Weg eine Infrastruktur in die Hand geben, um ACTA innerhalb der Union zu umgehen.

ACTA ist freilich nur ein Punkt auf der EU-Agenda, der Einschränkungen der Internetfreiheit vorsieht. So sind unter anderem die Vorratsdatenspeicherung, die Österreich trotz breiter Kritik nächstes Jahr umsetzen wird, und Netzsperren, die in Deutschland zuvor als verfassungswidrig aufgehoben worden waren, auf Bestrebungen der EU zurückzuführen.

Kein Kommentar zu Ausgaben oder Kontrolle

Neben den unterschiedlichen Maßstäben in der Netzfreiheit, die die Kommission nach außen und innen anlegt, bleibt in der "No-Disconnect"-Strategie noch eine Reihe weiterer Punkte offen. So gibt es keine Auskunft über die finanziellen Aufwendungen, die die EU für die Kampagne zur Verfügung stellen will. Ebenso unklar ist, nach welchen Kriterien Staaten und Empfänger von "Internetüberlebenspaketen" ausgewählt werden und wie sichergestellt werden kann, dass diese nicht in falsche Hände geraten. Auch über die spätere Veröffentlichung und Evaluierungsergebnisse von "No-Disconnect"-Aktivitäten wollte Kroes nichts sagen.

Wegen der Ungereimtheiten hat der grüne Europaabgeordnete Jan Philipp Albrecht eine schriftliche Anfrage an die Kommission gerichtet. Zwar dreht auch sie sich in der Hauptsache um die Person Guttenbergs. Im letzten Punkt aber stellt Albrecht eine interessante Frage: "Richtet sich die 'no disconnect'-Strategie nur an Staaten außerhalb der EU, oder wird die Kommission auch darauf hinwirken, dass Menschenrechte und Grundfreiheiten auch innerhalb der EU sowohl online als auch offline gewahrt werden? Wenn ja wie?" Albrecht und die Öffentlichkeit warten noch auf die Antwort. (mm, derStandard.at, 14.12.2011)