Wien - Der Identitätsgutachter hat nichts von der Verhandlung gewusst. Der Richter bittet ihn telefonisch herbei. Bis zu seinem Eintreffen erfahren die Geschworenen, warum der kleine Rumäne, der schüchtern wirkt und leise spricht, in der Anklagebank sitzt: wegen des Identitätsgutachtens. Man glaubt, dass er jener Räuber ist, von dem es nur ein verschwommenes Bild einer Überwachungskamera gibt. Professor Johann Szilvassy - der Anthropologe, auf den gewartet wird - hatte ihn nach seiner berüchtigten Methode vermessen und mit dem Täter in Deckung bringen können.

Überfall

Im November löste ein Pensionist in Wien seine Sparbücher auf. Er steckte 59.000 Euro ein und verließ die Bank. Drei Männer folgten ihm und überfielen ihn im Stiegenhaus. Der alte Mann erinnert sich an einen "festen, wahnsinnig starken Schlag". Als er mit einem Kiefertrümmerbruch erwachte, war das Geld weg.

Zeugenstand

Im Hotel gegenüber der Bank wohnte ein Blumenhändler aus Bukarest, der einem der Täter ähnlich sah. "Er könnte es gewesen sein", sagte das Opfer damals bei der Gegenüberstellung. Heute, im Zeugenstand, schüttelt er den Kopf: "Nein, der nicht. Meiner war älter." Der Angeklagte beteuert, nie in der Bank gewesen zu sein. Er war auf Urlaub in Wien und wollte mit Freunden weiter nach Spanien reißen, als man ihn verhaftete.

Identitätsgutachten

Die Verteidigerin kam auf die (schlechte) Idee, ein Identitätsgutachten zu beantragen. Auf diesem Gebiet gibt es nur zwei Sachverständige: den umstrittenen Menschenvermesser Szilvassy und seinen Schüler in Tirol. Der Professor hatte sich etwa durch seine Sorge über das "Aussterben der Blonden" in der rechtsgerichteten Postille "Aula" einen Namen gemacht.

Übereinstimmung

Nun hat er den Angeklagten anhand des Fotos auf 300 Körpermerkmale hin untersucht. "Und fast jedes stimmt überein", sagt er stolz. Dass der Mann auf dem Foto eine dicke Jacke trägt, stört ihn nicht. "Das Becken hab' ich ungefähr geschätzt", gibt er zu. Früher hätte er zu so einem Ergebnis gesagt: "Das ist das höchste Maß der Wahrscheinlichkeit." Heute sei er vorsichtiger, "wegen der Angriffe aus der Presse". Da begnüge er sich mit "95-prozentiger Übereinstimmung".

Vier Geschworenen ist das zu wenig. Der Rumäne wird freigesprochen. Er hat nach einem halben Jahr U-Haft Anrecht auf Entschädigung. (Daniel Glattauer, DER STANDARD Printausgabe 6.6.2003)