Divjak: Herr Edlinger, Roland Düringer ist zur Abwechslung wieder einmal in die Rolle des Roland Düringers geschlüpft und hat für uns Hamsterradler den populären Schmalspur-Zizek gegeben, Claqueur-Heimspiel inklusive. Der humorlose Kabarettkönig hat in der Funktion als regierender Fernseh-Wutbürgermeister quasi den Anger-Remix von Erwin Pelzigs "Ich möchte gerne wissen"-ZDF-Auftritt hingelegt und ordentlich Quote eingefahren.

Auf dem Programm stand keine Sprachblasen-Kritik am platten Weltverbesserungs-Jargon, sondern hundert Prozent plakativ-polarisierende Affektperformance. Die viel erwähnten 99 Prozent haben sich jedenfalls prompt in diversen Foren hitzige Wortgefechte mit ihresgleichen geliefert: vom Systemtrottel zum Wutbürger und zurück in null Komma nichts.

Natürlich fragen wir uns jetzt: Wird der Teilzeitprotest-Philosoph Düringer demnächst zum Ehrenmitglied des Wiener Beschwerdechors ernannt? Wird uns der "Wutbürger", das deutsche Wort des Jahres 2010, auch 2012 noch leitmotivisch begleiten? Und: Ist wütendes Schwarz-Weiß-Denken ein guter Ratgeber in Sachen Bewusstseinsbildung und Systemwandel?

Edlinger: Herr Divjak, schon vor vierzig Jahren war "die Wut des Zeitalters tief", wie Heimito von Doderer meinte. In seinem Roman Die Merowinger werden die Ergrimmten mit einer delikaten Therapie geheilt. Der Vorschlag zur Einhegung gemeingefährlicher Wutbewegungen: Chronisch Erzürnte und Tobsüchtige werden in Wutmärschen in der Praxis eines seltsamen Doktors mithilfe einer Nasenzange durch einen Parcour navigiert. Zum Aggressionsabbau dürfen die Patienten Porzellanfiguren zerdeppern; gewissenhaft applizierte Klöppelschläge auf das Haupt sorgen dafür, dass dabei alles seine Ordnung behält.

Wenn da einer "Empört euch!" ruft, bekommt er nicht Applaus, sondern zunächst einmal eine wutkühlende Plombierung. So eine Wut-Therapie wäre vielleicht ein Zornabfuhrunternehmen, wie es auch Peter Sloterdijk gefallen könnte. Der hat ja den heiligen Zorn quasi zur anthropologischen Grundausstattung erklärt. Die bankrott gegangenen Zornbankmultis des letzten Jahrhunderts, auf die die Massen in der Hoffnung auf spätere Rendite eingezahlt hätten, hören bei ihm auf die Namen Kommunismus oder Nationalsozialismus, die Wut und Hass auf die unterdrückerische Klasse oder die unterlegene "Rasse" lenken.

Heute würden diese verwaisten Erregungssammelstellen vom islamistischen "Hooliganismus" (bzw. vom Wutbürgermeister Düringer oder Occupy) beerbt. Die Wut als diffuses Dagegensein ist also schnell einmal da - aber das ist nicht nur Teil der Lösung, sondern Teil des Problems. (DER STANDARD/ALBUM - Printausgabe, 10./11. Dezember 2011)