DER STANDARD-
Schwerpunktausgabe Patchwork

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Zündende Ideen brachte Pippi Langstrumpf in ihren losen Familienverbund.

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Für jede Menge Zunder sorgte Alexis Colby bei Blake und Krystle Carrington im "Denver Clan".

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Das explosivste Patchwork der Gegenwart: die Polygamisten aus "Big Love".

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Wien - Am besten erwischte es Pippi Langstrumpf: Die Halbwaise mit den Ringelsocken und der auffälligen Frisur fand in Tommy und Annika nicht nur neue Freunde, sondern unterhielt mit deren Eltern eine freundschaftliche und auf gegenseitigem Vertrauen basierende Beziehung. Die Versorgungsavancen des "Fräulein Prusselise" wehrte Pippi stets erfolgreich ab. Den Papa rettete sie per Luftfahrrad aus höchster Not. Dieses Patchwork lässt sich sehen.

TV-Wirklichkeit sah davor und danach oft anders aus, bediente aber so gut wie immer ausgewählte Prototypen von Fernsehkindern im Patchwork. Es gab:

  • Die Spießigen Gratulieren konnte sich etwa das gemeinsame Kind von Peter Weck und Thekla-Carola Wied: Mehr versteckte Kleinbürgerhölle als in Ich heirate eine Familie gab es nie wieder. Unglaublich fade Geschwister versorgte die Westernärztin Dr. Quinn, was insofern ein Jammer war, als ihr endloses Ringen mit Trapper Sully nicht minder anödete. Den dringend nötigen frischen Wind bekam der bereits müffelnde Nachwuchs von Mr. Sheffield: Die Nanny wirbelte die drei verzogenen Fratzen auf.
  • Die Coolen Wenn die Erwachsenen sich balgen, bleiben die Kinder gelassen. Tommy Gavin und seine Immer-wieder-Frau Janet liebten und hassten sich in Rescue Me. Die Kinder blieben überraschend stabil. Gleich widerstandsfähig waren Zoe Woodbine und Rachel Blanders gegen Verrücktheiten ihrer Mutter Cybill.
  • Die Helden Zahlreiche Kinder mit unklaren Geburtsverhältnissen fanden Anschluss in quasifamiliärem Umfeld: Heidi, Pumuckl, Pinocchio, Nils Holgersson, Flipper, Lassie und Skippy, das Buschkänguruh erfuhren neue Geborgenheit, schöpften Mut zur Eigeninitiative, neigten allerdings in dieser ungewohnten Rolle mitunter zu ermüdendem Besserwissertum. In ein aufwühlendes familiäres Umfeld geriet das kleine Bleichgesicht Orzowei: Beim afrikanischen Buschvolk fühlte er sich schnell heimisch.
  • Die Realistischen Mit ernsten Absichten verhandelte The Brady Bunch von 1969 bis 1974 das für damalige Verhältnisse neue Sittenbild. Patchwork in allen real existierenden Formen brachte die Lindenstraße hervor. Egal, ob beim Anhang von Gabi und Andy Zenker, Dr. Dressler und Elisabeth, Hansemann und Anna, Erich und Mutter Beimer: Zwischendurch krachte es, aber dann vertrug man sich wieder. Als frustrierte Alte, die nicht loslassen kann: So erscheint Betty Draper, ab Staffel vier Ex-Gattin von Don Draper, in Mad Men. Gegen das Aufbegehren der Ältesten geht sie mit strenger Hand vor. Ein klassisches Patchwork-Schicksal, denn der holde Daddy holt die Kleinen für Spaß und Spiel, den Alltag mögen aber bitte andere bestreiten. Klar vergöttern die Kleinen ihn. Die Trümmer einer kaputten Ehe nagen an Betty trotz - oder gerade wegen - schneller Wiedervermählung mehr als am Exgatten, der angesichts der fürsorglichen neuen Tussi auf Wolke sieben schwebt: I got you Babe!
  • Die Rebellischen Krystle Carrington war alles andere als willkommen, als sie den Haudegen Blake heiratete. Der neue Gemahl hatte nur Öl im Kopf, Alexis, die Ex, machte beiden die Hölle heiß. Blakes Tochter Fallon wollte die neue Mutter ebenfalls nicht akzeptieren und tat, was alle im Denver Clan am besten konnten: Sie beackerte das Feld der Intrigen.
  • Die Tapfersten Ein Vater, drei Mütter: Die unglaublichen Abenteuer der Polygamistenfamilie um den wackeren Patriarchen Bill aus Big Love stellen das Konzept der heilen Familie völlig auf den Kopf. So findet die Ex plötzlich ihre eigene Mutter als neue Ehefrau, will die Erstfrau Obsorgerechte auf das durch den Gatten im voreheli-chen Geschlechtsverkehr gezeugte Kind mit der potenziellen Viertfrau. Da blicken nicht einmal mehr die Kinder durch. (Doris Priesching, DER STANDARD; Printausgabe, 17./18.12.2011)