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Der Autor Václav Havel (hier auf einem Archivbild mit Helmut Zilk) war Mitbegründer der Bürgerrechtsbewegung Charta 77, von 1989 bis 2003 Präsident Tschechiens.

Foto: APA/epa/CTK/Stanislav Zbynek

Den früheren tschechischen Präsidenten Václav Havel hat nie interessiert, wer ihn bespitzelt hat. Warum er im Fall Zilk "bewusst im Plural" spricht, erklärte er in Prag Michael Kerbler und Alexandra Föderl-Schmid.

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Kerbler: Es ist immer spannend zu sehen, was fehlt in einer Biographie. Ich habe nachgeschaut, was die Stasi über mich zusammengetragen hat. Hat Sie nie interessiert, wer Sie bespitzelt hat?

Havel: Ich gebe zu, dass mich das nie besonders interessiert hat. Wenn darüber nichts bekannt ist, und ich auch nichts darüber weiß, dann wohl deshalb, weil es vernichtet worden ist in der revolutionären Zeit. Über mich mussten doch tausende Blatt an Akten vorhanden gewesen sein, ich hatte hunderte Verhöre in meinem Leben. Mich hat nicht mal interessiert, wer mich verraten hat.

Man hat mir gleich nach der Revolution eine Aufstellung, eine Liste meiner engsten Freunde gegeben, die mich systematisch denunziert haben. Aber ich habe diese Liste nicht nur verloren, sondern sogar vergessen wer auf der Liste stand. Ich glaube, dass das bei uns nicht wirklich gut organisiert ist.

In Deutschland ist das ein wenig besser, denn dort existiert die „Gauck-Behörde“. Bei uns war es ziemlich wirr. Die gesamte Angelegenheit ist sehr heikel. Zum Beispiel ist es für die Beurteilung wichtig, welche Bedeutung der zeitgeschichtliche Rahmen hat, wie sich die Menschen verhalten haben, was Menschen nicht ausgesprochen haben, aber in ihrer Haltung sehr wohl sichtbar wurde. Ereignisse herausgerissen aus dem Kontext – da können einzelne Informationen die Geschichte eher fälschen als sie verständlicher machen.

Föderl-Schmid: Wiens Altbürgermeister Helmut Zilk hätte 1998 einen hohen Orden bekommen sollen. Als Hinweise auftauchten, Zilk habe Spionagedienste für die kommunistische Tschechoslowakei geleistet, haben Sie ihm keinen Orden verliehen. Beim Trauerakt für Zilk vergangenen November haben Sie folgenden Satz gesagt: "Vielleicht haben wir ihm aufgrund unserer Unkenntnis auch Unrecht getan, vielleicht haben wir ihn verletzt und ich möchte mit im Namen der Tschechen bei ihm entschuldigen." Was haben Sie mit diesem kryptischen Satz gemeint?

Havel: Ja, das war damals schon umstritten. Ich bin von verschiedenen Seiten erpresst worden. Manchmal vielleicht aus guten Motiven, manchmal vielleicht aus schlechten Motiven, das Ganze war eine sehr verwickelte Geschichte. Es ist wahr, erst später habe ich mehr erfahren. Das damalige Gesetz hat keine Überprüfungen von Personen zugelassen, die ausgezeichnet werden sollten. Das heißt, wir hatten kein Recht uns über jene Personen, die an einem Feiertag auf der Prager Burg eine Auszeichnung – etwa einen Orden – bekommen sollten, zu erkundigen, ob sie Agent waren.

Wenn so etwas gemacht wurde, dann war das, ich möchte nicht sagen ungesetzlich, aber an der Grenze des Legalen, des Gesetzmäßigen, das war schon umstritten. Es kamen dann weitere Widersprüche und Fakten ans Tageslicht, über die ich ungern konkret sprechen möchte. Das, was ich am Begräbnis gesagt habe, gilt: falls wir ihn zu Unrecht gekränkt haben, möchte ich mich dafür entschuldigen. So ist das. Aber nähere Details möchte ich dazu nicht mehr sagen.

Föderl-Schmid: Trotzdem: War Zilk ein Spion?

Havel: Erstens müssten wir definieren, was wir unter Spion verstehen. Die Staatssicherheit, und ich spreche jetzt von unserem Land und nicht von anderen, kannte mehrere Kategorien von Mitarbeitern. Diese Kategorien haben sich historisch verändert. Es gab Vertrauensmänner und geheime Mitarbeiter, Besitzer von Konspirationswohnungen und Kandidaten für eine geheime Zusammenarbeit. Ich habe erfahren, dass auch ich als Kandidat für eine geheime Zusammenarbeit eingestuft worden war. Das ist eine Kategorie, in die man eingeordnet wurde mit der Absicht, diejenige Person eine Zeit lang zu beobachten und wenn sie zuverlässig erscheint, dieser Person eine Zusammenarbeit anzubieten. Die StB führte mich im Jahr 1965 oder so als einen Staatsfeind.

Die regionale Verwaltung in Prag hat mich dagegen als einen Kandidaten für geheime Zusammenarbeit in Evidenz gehalten. Also in unserem Fall ist es schwer, das Wort Agent zu verwenden. Dass es sich bei der Angelegenheit rund um Herrn Zilk um bestimmte Arten der Zusammenarbeit mit geheimen Nachrichtendiensten handelte, das ist wohl offenkundig. Das kann man so sagen. Aber mehr möchte ich nicht dazu sagen, speziell zu den Kategorien möchte ich mich nicht äußern. Ich sagte Nachrichtendienste, sprach also bewusst im Plural.

Kerbler: In Ihrem Buch „Fassen Sie sich bitte kurz“ haben Sie geschrieben, Sie haben sich nie für die Vertreibung der Sudetendeutschen entschuldigt. In anderen Unterlagen steht aber genau das. Was ist wahr?

Havel: Die Wahrheit ist, dass ich die Vertreibung kritisiert habe. Ich war damit nicht einverstanden, mein ganzes Leben lang nicht. Aber mit einer Entschuldigung ist das eine komplizierte Sache. Soweit ich mich erinnern kann, sagte ich einmal noch vor der Revolution, dass sich unser Staat für die Vertreibung entschuldigen sollte. Das war meine Formulierung, die Reflexion des Bürgers Václav Havel. Aber sich für etwas zu entschuldigen, was meine Vorgänger gemacht haben, erscheint mir sehr formal gedacht und erscheint mir weit von jeder Reflexion und sachlicher Analyse entfernt. So als ob wir uns mit einem „Tut leid“ plötzlich aus der historischen Verantwortung davon stehlen könnten. Letztendlich haben wir mit der Vertreibung draufgezahlt. Wer das heute sagt, spricht damit keinen revolutionären Gedanken aus, nicht wahr.

Föderl-Schmid: Worauf kommt es an im Leben?

Havel: Dass der Mensch nicht nur gesund, glücklich und zufrieden ist, sondern auch im ständigen Einklang mit seinem Gewissen lebt. Ungeachtet ob sie Gläubige oder Atheisten sind: alle verspüren über sich ein Gedächtnis, ein Weltgedächtnis, das alles weiß. Es gibt eine Instanz, der man nichts verheimlichen oder verschweigen kann und nur auf das Urteil dieser Instanz kommt es an. (DER STANDARD, Printausgabe, 7.5.2009)