Stadler über sein Europa-Bild: "Meine Vorstellung war immer - schon zu Zeiten als ich noch Programme für andere geschrieben habe - ein Europa der unterschiedlichsten Geschwindigkeiten."

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Das Willkommensgeschenk von Hans-Peter Martin: Eine Unterhose.

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Auch Aktenordner hat Martin in seinem Büro vergessen.

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"Was gescheitert ist, ist diese Idee des Einheitseuropas, das von oben verordnet wird."

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"Europa ist nicht über den Kamm zu scheren, ich bin für ökonomische Vielfalt, nicht ökonomische Gleichschaltung."

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Hans-Peter Martin hat seine Unterhose vergessen. Das behauptet Ewald Stadler, rümpft die Nase und deutet auf das hellgraue Corpus Delicti, das im Kasten seines neuen Büros in Straßburg liegt. Sein Willkommensgeschenk hat sich Stadler, der seine ersten Tage als Abgeordneter im EU-Parlament verbringt, wohl anders vorgestellt. Der BZÖ-Mandatar hat das ehemalige Büro von Hans-Peter Martin zugeteilt bekommen, der übersiedelt ist, weil er nicht mehr Tür an Tür neben dem Abgeordneten und seinem ehemaligen Weggefährten Martin Ehrenhauser arbeiten will.

Stadler lässt sich auf seinem Sessel nieder. Das circa zehn Quadratmeter große Büro ist mit grau-grünen Möbeln lieblos eingerichtet. Neben Schreibtisch und Regalen gibt es zusätzlich eine Zelle, in der sich Dusche und Toilette befinden. Auf einem schmalen Bett könnte man zur Not auch übernachten. Stadler ist derzeit hauptsächlich damit beschäftigt, Formulare auszufüllen und zu unterschreiben. "Das ist ein riesen bürokratischer Aufwand bis man alle Schlüssel und alle Karten - von der Abstimmungskarte bis zur Zutrittskarte - hat", seufzt er.

Bienenzüchter im EU-Parlament

Stadler hatte in seinem politischen Leben schon viele Funktionen inne. Dass der heute 50-Jährige einmal für das BZÖ - die Partei, die er einst spöttisch "Bienenzüchter Österreichs" genannt hat - ins EU-Parlament einziehen würde, hätte der Jurist mit klerikaler Einstellung vor vier Jahren noch nicht zu träumen gewagt.

Doch es kam anders als gedacht und jetzt sieht es der BZÖ-Vertreter sogar symbolisch, wie er sagt, dass er den Büroraum von Hans-Peter Martin übernommen hat: "Ich hoffe, dass es sich auch mancher Wähler zwischenzeitlich anders überlegt hat." Martin wollte ein Aufdecker sein, "ich werde diese Rolle viel besser erfüllen als er", ist Stadler überzeugt.

FPK-Mandat verhindert

Dabei war Stadler, der seit Anfang Dezember in Brüssel und Straßburg vertreten ist, zunächst gar nicht begeistert, als er erfahren hat, dass der Vertrag von Lissabon in Kraft tritt, die Österreich zwei zusätzliche Mandate beschert. Für die SPÖ ist Josef Weidenholzer eingezogen, das zweite Mandat stand dem BZÖ zu. Hätte Listenerster Stadler darauf verzichtet, wäre der FPK-Vertreter Jörg Freunschlag, der bei der EU-Wahl 2009 noch Mitglied des BZÖ war und als Listenzweiter kandidiert hatte, zum Zug gekommen. Das wusste Stadler zu verhindern und nahm die Bürde Brüssel-Straßburg selbst auf sich.

Dass er das Mandat zunächst nur ungern angetreten hat, habe private Gründe, erklärt der Vater von sechs Kindern. Er wird zumindest für die nächsten drei Jahre zwischen Straßburg und Brüssel, seinem Wohnort Grafenegg, Wien und Neulengbach, wo sich seine Arbeitsstätte, eine Anwaltskanzlei befindet, pendeln müssen. "Ein enormer organisatorischer Aufwand", kommentiert Stadler.

Fleiß, Ehrgeiz, Intellekt

Im Parlament in Wien habe er sich "wie ein Fisch im Wasser" gefühlt. Jetzt ist ihm bewusst, dass die nächsten vier Jahre nicht so gemütlich ablaufen werden: "Für mich war der Nationalrat kein großes Mysterium. Da habe ich eine gewisse Erfahrung gehabt." Dennoch packt den Neo-EU-Abgeordneten der Ehrgeiz: "Ich habe in meiner politischen Tätigkeit schon viele Funktionen übernommen, für die ich mich nicht wirklich vorgedrängt habe. Ich habe trotzdem was daraus gemacht und ich will auch hier was daraus zu machen. Mit Fleiß und Intellekt werde ich das schon zusammenbringen."

Die Erfahrungen der ersten Tagen brachten Stadler - er sitzt als Hinterbänkler in der vorletzten Reihe des Straßburger Plenarsaals - allerdings Ernüchterung: "Hier gibt es keine Rhetorik, die meisten Abgeordneten stehen auf, lesen einen Zettel herunter. Das ist kein Parlamentarismus, das ist im Nationalrat ganz anders." Im österreichischen Parlament war Stadler für seine scharfen Reden und spitzen Wortmeldungen bekannt. Sie brachten ihm auch den Spitznamen Dobermann. Jetzt macht sich Stadler sichtlich Sorgen, inwieweit er seine rhetorischen Fähigkeiten in Straßburg zum Einsatz wird bringen können.

Umstrittene Laufbahn

Im Nationalrat saß Stadler mit Unterbrechungen seit 1994; bis 2007 für die FPÖ, ab 2008 für das BZÖ. Er war Klubchef, eine Zeit lang Landesrat in Niederösterreich, später Volksanwalt.

Die längste Zeit war Stadler umstritten. 1997 sorgte er zum Beispiel bei der Ausarbeitung des neuen FPÖ-Parteiprogramms für Aufregung, weil er darin das "wehrhafte Christentum" festschreiben wollte. Einen weiteren Skandal bescherte ihm 2005 eine Aussage bei einer Parteiveranstaltung in Kärnten. Er hatte erklärt, dass die FPÖ "homosexuelle und andere perverse Partnerschaften" nicht goutieren werde. Es folgte eine Debatte über die verfassungsmäßig garantierte Unabsetzbarkeit von Volksanwälten.

Stadler blieb aber im Amt, insgesamt ganze sechs Jahre lang. Volksanwalt war die Funktion, die er am liebsten ausübte, wie er heute sagt: "Das habe ich richtig gern gemacht, das war mir auf den Leib geschneidert. Ich konnte am meisten für den einzelnen Bürger bewirken." Ein Volksanwalt will der Jurist den Österreichern jetzt auch in Brüssel sein, das hat er 2009 schon im Wahlkampf plakatiert. "Ich möchte mich um die einzelnen Belange, die der Bürger an mich heranträgt, kümmern. Wenn es eine Angelegenheit ist, die EU-rechtlich zu lösen ist, möchte ich mein jetziges Umfeld entsprechend nutzen."

Fotos und ein Partei-Austritt

Mit der FPÖ hat Stadler 2007 gebrochen, als er als Chef der Freiheitlichen Akademie von FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache demontiert wurde. Wenig später tauchten Fotos aus Straches Jugendzeiten auf, die den Parteichef bei "Wehrsportübungen" zeigten. Stadler will die Fotos nur zugesteckt bekommen und an den damaligen FPÖ-Bürgeranwalt Hilmar Kabas weitergeleitet haben. Wie sie in die Medien gelangten, sei ihm selbst unerklärlich, betonte er stets.

Nach diesem Zwischenfall ist er 2007 jedenfalls aus der Partei ausgetreten, aber weiterhin im FPÖ-Klub geblieben. Ein Wechsel zu den Orangen kam für ihn damals noch nicht in Frage. Dass das BZÖ später seine politische Heimat wurde, bezeichnet er dennoch als "nicht überraschend", das habe sich über Monate angebahnt.

Versöhnung mit Jörg Haider

"Als die Nationalratswahlen 2008 vorbereitet wurden, haben die Versöhnungsgespräche, die ich vorher schon mit Jörg Haider hatte, dazu geführt, dass er mich ersucht hat, für das BZÖ zu kandidieren, was ich dann auch gemacht habe." Die Versöhnung habe bereits im Frühjahr 2008 stattgefunden: "Haider ist auf mich zugekommen. Er mich gefragt, ob es nicht gescheiter wäre, wenn wir wieder miteinander reden." Daraus habe sich eine "sehr intensive Gesprächskultur" ergeben. "Wir waren so lange politisch beieinander, dass ich dann gar keinen Grund gesehen habe, dauerhaft böse zu sein. Man muss sich in der Politik auch wieder vertragen können."

Dauerhaft böse will Stadler anscheinend auch nicht auf seinen Intim-Feind Heinz-Christian Strache sein. Er bemühte sich bei der letzten Nationalratssitzung vor seinem Wechsel ins EU-Parlament um eine Wiedergutmachung. "Ich habe dem Strache eine Versöhnungsgeste gemacht, indem ich ihn gegenüber einem ungerechtfertigten Angriff eines Kollegen der Grünen in Schutz genommen habe. Ich habe ihm das auch gesagt, dass das von mir als Versöhnungsgeste gemeint ist. Und damit wollen wir es belassen." Die beiden sind also wieder gut? "Nein, das wäre übertrieben. Ich will korrekte Verhältnisse haben. Man braucht sich nicht um den Hals zu fallen."

Wie es nach 2014 - solange sitzt Stadler als gewählter Vertreter auf jeden Fall im EU-Parlament - mit seiner politischen Tätigkeit weitergehen wird, wagt er noch nicht zu sagen. An den Rückzug aus der Politik denkt der BZÖler nicht: "Seit ich politisch tätig bin, sagt man mir das Ende meiner politischen Karriere voraus. Das begleitet mich seit über zwanzig Jahren. Bisher sind alle eines besseren belehrt worden."

Blockhaus in Mariazell

Für die Polit-Pension vorgesorgt hätte Stadler aber schon. Er hat sich vor kurzem einen Traum erfüllt und in Mariazell ein Haus gebaut. "Ein Blockhaus", betont der religiöse Stadler, das aus seiner Heimat Vorarlberg geliefert wurde. Hier verbringt er mit seiner Frau und den sechs Kindern, die zwischen sieben und 17 Jahre alt sind, die Wochenenden.

Auf EU-Ebene will sich der derzeit noch als Einzelkämpfer agierende im nächsten Schritt eine Fraktion suchen, der er sich anschließen kann. Gespräche sind am Laufen. Mit wem, sagt Stadler aber nicht: "Da wurde Stillschweigen vereinbart". Einer Fraktion beizutreten, findet Stadler deshalb sinnvoll, weil es für die Tätigkeiten eines Abgeordneten im Parlament unerlässlich sei, den Mechanismus einer Fraktion nutzen zu können.

Stadler allein zu Haus

Kolportiert wurde, dass Stadler Verhandlungen mit der EU-kritischen Fraktion "Europa der Freiheit und der Demokratie" (EFD) geführt hat, der freiheitliche EU-Abgeordnete Andreas Mölzer eine Aufnahme Stadlers aber verhindert habe. Ob er Mölzer in Straßburg schon getroffen hat? "Ja, auf die Ferne gegrüßt. Wir wollen es dabei belassen", sagt Stadler und lacht genüsslich.

Der EFD-Fraktion gehören die EU-feindliche britische United Kingdom Independence Party, die italienische Lega Nord und die rechtsnationale slowakische SNS an. Bereits im November soll die Fraktion ein Aufnahmegesuch Stadlers abgewiesen haben. Ein neuerlicher Versuch am vergangenen Dienstag scheiterte.

Aus diesem Grund geht Stadler in der Parlamentskantine derzeit auch noch alleine auf einen Kaffee, den er schwarz und ohne Zucker trinkt. Sein Mitarbeiter stößt mit einem weiteren Packen von Formularen dazu, unter die Stadler seine Unterschrift setzen muss. "Das ist so grotesk", schüttelt Stadler den Kopf, "so grotesk". Das R rrrrrollt in Stadler-Manier.

Unterhosen-Affäre

Die Unterhose von Hans-Peter Martin will der BZÖ-Mandatar einstweilen noch in seinem Kasten liegen lassen. Er wartet, bis Martin sie abholen kommt. "Das ist kein Zustand, wie man ein Büro hinterlässt", schimpft er auf den Wahlsieger von 2009, der in der Zwischenzeit von Korruptionsaffären heimgesucht wurde. Martin wird in den nächsten Jahren wohl nicht zu Stadlers Freunden zählen. (Rosa Winkler-Hermaden aus Straßburg, derStandard.at, 21.12.2011)