Bild nicht mehr verfügbar.

Was immer er da sieht - der kasachische Staatschef Nursultan Nasarbajew (re.) scheint darüber nicht erbaut. Aber trotz der angespannten Lage in seinem Land nahm Nasarbajew am Montag in Moskau mit seinen Amtskollegen Dmitri Medwedew (Russland; Mitte) und Alexander Lukaschenko (Weißrussland) am Gipfel des Eurasischen Wirtschaftsrates teil.

Foto: EPA/Kotschetkow

Bild nicht mehr verfügbar.

Foto: EPA/Kotschetkow

Astana/Wien - Dialogangebot an die revoltierenden Ölarbeiter, Ausnahmezustand in der Unruhestadt Schanaosen vorerst bis 5. Jänner: Die Doppelstrategie, mit der Kasachstans Staatschef Nusultan Nasarbajew auf die jüngsten blutigen Zwischenfälle reagiert, funktionierte nicht. Am Montag versammelten sich rund 3000 Menschen in der Stadt Aktau am Kaspischen Meer. Sie forderten die Behörden auf, die Truppen aus dem nahe gelegenen Schanaosen abzuziehen und die Gewalt zu beenden.

In Schanaosen demonstrieren Arbeiter seit Monaten für höhere Löhne. Am Freitag geriet die Situation außer Kontrolle. Nach offiziellen Angaben kamen zehn Menschen, laut Menschenrechtsaktivisten aber mehr als 70 ums Leben, als Sicherheitskräfte das Feuer eröffneten. Ein weiterer Mensch starb laut Mitteilung der Behörden bei Ausschreitungen in Schetpe, wo Demonstranten am Samstag einen Zug mit mehr als 360 Passagieren angehalten hatten, um Unterstützung für ihren Protest zu erhalten.

In einer Rede an die Kasachen stellte Nasarbajew am Samstag die Situation so dar, als habe der Arbeiterprotest nichts mit den Gewalttaten zu tun. Deren Urheber würden gefunden und bestraft. Mit den Arbeitern werde die Regierung verhandeln.

Die Unruhen haben Nasarbajew die Feier zum 20. Jahrestag der Staatsgründung verdorben. Am 16. Dezember 1991 hatte Kasachstan als letzte von 15 Sowjetrepubliken seine Unabhängigkeit erklärt. Nasarbajew, der schon zu Sowjetzeiten als kasachischer Parteichef der mächtigste Mann der Republik war, inszeniert sich als Vater der kasachischen Nation. Dazu gehört auch die aus dem Steppenboden gestampfte neue Hauptstadt Astana.

In Kasachstan, dem neuntgrößten Flächenstaat der Erde, leben mehr als 50 ethnische Gruppen mit jeweils mehr als tausend Angehörigen, die sich auf über 40 Religionen verteilen. Kritik am autoritären Charakter seines Regimes ließ Nasarbajew bisher stets mit dem Hinweis abschmettern, dass er große Zustimmung im Volk genieße und Kasachstan, im Gegensatz zu den übrigen zentralasiatischen Ex-Sowjetrepubliken, weder ethnische noch religiöse Konflikte kenne.

Diese Argumentation verfing auch im Westen und trug dazu bei, dass Kasachstan im Vorjahr - als erste Ex-Sowjetrepublik und als erstes asiatisches Land - den Vorsitz in der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) führen konnte. Hoffnungen auf eine Stärkung der Menschenrechte und der Meinungsfreiheit erfüllten sich jedoch nicht. Menschenrechtsorganisationen sehen eher eine gegenteilige Tendenz.

Inzwischen scheint aber auch Kasachstans Rolle als regionaler Stabilitätsfaktor gefährdet. In jüngster Zeit häufen sich gewaltsame Zwischenfälle mit offenkundig terroristischem, aber auch unklarem Hintergrund. Anfang Dezember erschossen Sicherheitskräfte bei einem Großeinsatz mehrere Islamisten. Kasachstan mit seinen riesigen unbesiedelten Steppen gilt als ein Rückzugsgebiet afghanischer Extremisten, die über die diktatorisch regierten Nachbarrepubliken Turkmenistan, Usbekistan und Tadschikistan ins Land kommen.

Die kasachischen Staatsmedien versuchen die jüngsten Unruhen denn auch mit Aufwiegelungsversuchen nicht näher genannter Extremisten zu erklären. Die wahren Ursachen bleiben, abgesehen von der Unzufriedenheit der Ölarbeiter, im Dunkeln. Dass sie breitere Dimensionen und vor allem mit steigendem Unmut über die Korruption im System zu tun haben, lässt sich an der von Nasarbajew überraschend für Jänner angesetzten Parlamentswahl ablesen. Der Staatschef befand plötzlich, es reiche nicht, dass nur eine Partei - seine - das Volk vertritt. (DER STANDARD Printausgabe, 20.12.2011)