Im heurigen Sommer musste ich mich meiner ersten Wurzelbehandlung unterziehen. Da mein Zahnarzt gerade auf Urlaub war, suchte ich - von starken Schmerzen gepeinigt - die Universitätszahnklinik in der Wiener Sensengasse auf. Standardgemäß wurde ich vor der Untersuchung zum Röntgen geschickt. Der ziemlich junge und, wie mir schien, noch nicht sehr erfahrene Mediziner (er holte immer wieder Rat von einer älteren Kollegin, scheinbar der Verantwortlichen vor Ort, ein), konnte mir nicht weiterhelfen. Die Diagnose, es könnte sich um eine Entzündung des Zahnmarks (Pulpitis) handeln, verblieb in der Möglichkeitsform, da der Jungmediziner nur per Röntgenbild urteilte und dieses für ihn nicht aussagekräftig genug zu sein schien. Er verschrieb mir daher Parkemed und wies mich an, im Falle des Andauerns meiner Schmerzen, in ein paar Tagen wiederzukommen bzw. einen niedergelassenen Zahnarzt aufzusuchen. Das Röntgenbild, das an der Universitätszahnklinik von meinen Zähnen angefertigt worden war, bekam ich selbstverständlich nicht mit.

Zwei Tage später waren die Schmerzen immer noch nicht verschwunden, im Gegenteil: Sie hatten sich sogar noch gesteigert. Die Frequenz, mit der ich meine Tabletten schlucken musste, erhöhte sich dementsprechend. Da mein Zahnarzt immer noch nicht zurück war, beschloss ich, einen anderen aufzusuchen. Auf meine Frage bei der Anmeldung, ob sich die Ordination nicht eventuell das Röntgenbild aus der Universitätszahnklinik per Mail schicken lassen könnte - es war schließlich als elektronische Datei verfügbar (der Jungmediziner hatte es sich neben mir am Computer angesehen) -, um mir eine zweite Röntgenuntersuchung innerhalb weniger Tage zu ersparen, winkte die Assistentin des Herrn Doktor mit einer arroganten Handbewegung ab und sagte: "Aber nein, wir machen selbstverständlich ein neues Röntgen!"

Ähnliche Fälle von Doppeluntersuchungen und -befundungen gibt es jeden Tag zuhauf. Da drängt sich ein Verdacht auf: Kann es sein, dass der Nutzen, den Elga ganz offensichtlich für die Patientinnen und Patienten im Besonderen und für das Gesundheitssystem im Allgemeinen (z. B. in Form von Kostenreduktion) haben würde, von der Ärzteschaft genau deshalb kleingeredet und hinter dem Bedrohungsszenario des "nackten Patienten" versteckt wird, weil er im Umkehrschluss den größten Schaden für ihre eigenen Interessen darstellt? Wenn Herr und Frau Doktor nicht mehr unnötige Doppeluntersuchungen durchführen müssen respektive dürfen, weil sie jederzeit über die bereits erhobenen Daten ihrer Kolleginnen und Kollegen verfügen können und diese auch verwenden müssen und, falls sie dies nicht tun, Erklärungsbedarf haben, geht das natürlich ins Geld - ins Geld der Ärztinnen und Ärzte, das diese nun nicht mehr verdienen.

Dass die Frage der Sicherheit im Umgang mit sensiblen Daten gestellt werden muss, liegt auf der Hand. Diesbezüglich haben Hans Zeger und die Arge Daten natürlich Recht. Und auch über "opt-in" anstelle von "opt-out" lässt sich diskutieren.

Doch selbst dann, wenn die Datensicherheit nicht zu hundert Prozent gewährleistet werden könnte (und kein System ist zu hundert Prozent sicher vor Hackern), überwiegen die Vorteile für Patientinnen und Patienten und das Gesundheitssystem insgesamt bei weitem die Risiken, die mit Elga einhergehen. Dass die Krankheit des rein egoistischen pekuniären Interesses der Ärzteschaft durch die Einführung der elektronischen Krankenakte erfolgreich behandelt und kuriert werden könnte, sollte nicht scheinheilig hinter nackten Patientinnen und Patienten versteckt werden. (Georg Schildhammer, DER STANDARD; Printausgabe, 21.12.2011)