"Mich stören die Gefälligkeiten, durch die sich Leute straffällig machen. Der positive Dopingbefund ist nur ein Verstoß gegen den WADA-Code. Wenn sie die Infusion des Athleten halten oder ein EPO-Packerl abholen, dann hängen sie laut WADA als Beitragstäter mit drin, da fährt die Eisenbahn drüber", sagt Gernot Schaar.

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Triathlet Michael Weiss wurde von der Rechtskommission frei gesprochen, die NADA hat per Schiedskommission gegen das Urteil berufen und Weiss gesperrt.

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derStandard.at: In den vergangenen Jahren gab es zahlreiche Verurteilungen prominenter Ausdauer-Sportler. Wurden hier offene Geheimnisse per Gesetz abgeurteilt? 

Gernot Schaar: Durch die Fälle Kohl und Hütthaler kam viel über Dopingpraktiken in Österreich an die Öffentlichkeit. Was heißt offene Geheimnis? Wenn ich bedenke, wie viele Leute mir in den letzten drei Jahren schon erzählt haben, wer aller gedopt haben soll, jedoch waren diese nicht bereit,  als Zeugen vor der Rechtskommission auszusagen. So kann kein Verfahren durchgeführt werden, ohne Beweise gibt es kein Urteil. Wenn ich dann den fehlenden Mut mancher Menschen anspreche, vor Gericht oder der Rechtskommission ihre Behauptungen von Dopingverstößen anderer Personen auch auszusagen, herrscht meistens Schweigen im Walde.

derStandard.at: Dinko Jukic darf weiter frei schwimmen. NADA-Chef Andreas Schwab meinte, das Urteil sei kein Freispruch. Was war es dann?

Schaar: Wenn der Sportler nachweisen kann, dass ihn kein Verschulden beim Verstoß gegen den WADA-Code (Welt Anti-Doping Bestimmungen) trifft, wird er nicht gesperrt. Jukic hat gegen den Code verstoßen, es gab aber einen Dokumentationsmissstand. Ein Beispiel, um das zu veranschaulichen: Jemand bindet sie fest, spritzt ihnen EPO und sie werden daraufhin positiv getestet auf EPO getestet. Sie haben zwar formal gegen die Anti-Dopingbestimmungen verstoßen, aber gegen ihren Willen. Wenn sie das beweisen können, gehen sie frei. Im WADA-Code geht es nicht um den Vorsatz. Es reicht bereits eine fahrlässige Einnahme bzw. Einnahme aus.

derStandard.at: Wie wird ein Dopingverfahren eingeleitet?

Schaar: Die NADA (Nationale Anti-Doping Agentur) bringt bei uns einen Prüfungsantrag an, ist sozusagen in der Rolle des Anklägers. Die Rechtskommission entscheidet quasi als Richter. Es handelt sich nicht um einen Inquisitionsprozess, wo der Kläger auch gleichzeitig der Richter ist. Die Rechtskommission ist unabhängig von der NADA und entscheidet für den jeweiligen Bundessportfachverband, auch wenn sie organisatorisch der NADA zugerechnet wird. Da wurde in der Öffentlichkeit oft ein falsches Bild vermittelt. Das Gericht und die Staatsanwaltschaft sind auch gemeinsam im Bundesministerium für Justiz angesiedelt und dort kommt auch keiner drauf zu sagen, dass Abhängigkeiten entstehen. Wir entscheiden auch nicht immer im Sinne der NADA: Triathlet Michael Weiss wurde von uns freigesprochen, weil Zeugen vor uns nicht erschienen sind. Die NADA hat bei der Schiedskommission berufen, die Zeugen sind dort erschienen und deren Aussagen wurden als glaubhafter befunden als die Stellungnahmen von Michael Weiss. Er wurde schuldig gesprochen. In einem Rechtsstaat müssen die Instanzen nicht immer die gleiche Meinung haben, ansonsten könnten wir sie uns ersparen.

derStandard.at: Die Staatsanwaltschaft ermittelt in strafrechtlichen Belangen und die Rechtskommission der NADA darf seit kurzem Akteneinsicht verlangen. Wie läuft die Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft und dem Anti-Doping-Referat?

Schaar: In den Anfangsjahren der NADA 2008 und 2009 war die Zusammenarbeit nicht gut. Wir hatten um Akteneinsicht angesucht und wollten uns in Verhandlungen als Privatbeteiligter anschließen: Das ist uns verwehrt worden. Seit einer Erlass des Justiz-Ministeriums bzw. seit der letzten Novelle des Anti-Doping-Bundesgesetzes 2010 funktioniert es tadellos. Eine skurrile Entscheidung war, dass wir einen Sportler nur aufgrund verbotener Substanzen im Körper verurteilen konnten, obwohl derjenige bereits davor mehrere Wochen in Untersuchungshaft gesessen war. In Österreich kommt man aber nur in U-Haft, wenn man mit Dopingmitteln gedealt hat. So wird ein zweites Verfahren gegen diesen wegen Doping-Handels erforderlich, obwohl das in einer Verhandlung möglich gewesen wäre, hätten wir die Unterlagen schon damals gehabt. Wir sind keine Behörde, sind also darauf angewiesen, dass die Leute zu uns kommen und aussagen wollen.

derStandard.at: Wie optimistisch sind sie für den Anti-Doping Kampf?

Schaar: Durch die Intensivierung der Doping-Kontrollen und die Akteneinsicht der SOKO Doping können wir endlich damit beginnen, die Vergangenheit aufzuarbeiten und falsche Heroen vom Thron stürzen. Es kann nicht sein, dass sich Leute als Saubermänner präsentieren und über ihre Unschuld plaudern in dem Wissen, dass sie vor Gericht bereits Dopingmissbrauch zugegeben haben. In einem derartigen Fall wäre Schweigen angebracht. Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen.

derStandard.at: Ist der Sport ein Spiegelbild der Gesellschaft?

Schaar: Natürlich. Es ist leider in der Gesellschaft opportun geworden, zu betrügen. In den seltensten Fällen wird man zum Topmanager gewählt, weil man seine Mitarbeiter so gut oder korrekt behandelt. Im Sport hat man nur eine kurze Zeitspanne, um erfolgreich zu sein. Die Verlockung ist groß. Aber es muss die Unschuldsvermutung gelten, solange es keine Beweise gibt. Da helfen auch die Anschuldigungen von selbsternannten Doping-Jägern nichts. Hier entwickelt sich eine Gesellschaft von Denunzianten und eine öffentliche Meinung, dass Top-Leistungen ohne Doping nicht möglich sind. Was natürlich ein Blödsinn ist.

derStandard.at: Eine gängige Meinung ist auch, dass das System kaputt sei.

Schaar: Man darf nicht alles krank jammern. In der Arbeitswelt gilt man als gut, wenn man 16 Stunden am Tag arbeitet, selbst wenn man Amphetamine einwirft. Rockstars gelten als super, wenn sie sich im Drogenrausch bewegen. Die Frage ist: Wo liegen die Wertigkeiten? Im Sport gibt es ein Regelwerk: Ich darf beim Fußball keine Blutgrätsche machen, beim American Football niemandem ins Gesicht greifen und ich darf eben auch keine verbotene Substanzen nehmen. Dopingregeln sind Wettkampfregeln. Wenn wir beginnen, über die Ausnützung von Macht zu diskutieren, kann man über jedes Regelwerk und jede Regel diskutieren. Ich bin ja nicht gezwungen, mich internationalen und nationalen Verbänden anzuschließen, die sich dem WADA-Code unterwerfen. Dann erhalte ich halt keine Sportförderungen, fahre nicht zu Olympia. Das Geld und den Ruhm zu nehmen ohne die Verpflichtungen zu berücksichtigen, da passt für mich etwas nicht zusammen.

derStandard.at: Die großen Gefahren lauern im Breitensport. Wird genug Präventionsarbeit verrichtet?

Schaar: In den Fitnessstudios wird trainiert, um schöner zu sein als der Nachbar, der Anabolika-Einsatz findet leider oft ohne Rücksicht auf körperliche Konsequenzen statt. Der Gesetzgeber hat das mit erlaubten Kontrollen der Fitnesstudios bzw. der Strafbarkeit des Handelns mit verbotenen Substanzen (auch im Fitness- und Breitensport, Anm.) aber rigoros geregelt, es ist sehr wichtig hier einzuschreiten. Im Freizeitsport schaffen wir es, die Nachahmer der Topathleten herauszunehmen, die nicht wissen, welche und wie viele Pillen sie nehmen sollen. Das Ziel ist aber natürlich, die Menschen vorher über die Gefahren des Dopings zu informieren.

derStandard.at: Sind sie ein Gegner der Freigabe von Doping?

Schaar: Doping ist Betrug. Das macht keiner, nur um besser zu trainieren. Es geht um den Wettkampf, um höheres Ansehen und darum mehr Geld zu verdienen. Es werden Übermenschen gezüchtet. Für einen Olympia-Sieg wären manche Sportler auch bereit, zu sterben. Sie sind einfach Versuchskaninchen. Mir kann auch niemand den Unterschied erklären zwischen einem Finanzbetrüger, einem Zechpreller und einem Doper. Der Zechpreller gibt vor, dass er zahlungsfähig ist und täuscht damit den anderen. Der gedopte Athlet tritt gibt vor, tritt sauber trainiert zu haben und anzutreten, obwohl er etwas genommen hat, selbst wenn es im Wettkampf nicht mehr nachweisbar sein sollte. Deswegen ist aber nicht jeder Sportler ein potenzieller Verbrecher. (Florian Vetter, derStandard.at)