Washington/Wien - Im besten Fall rettet die Erkenntnis Millionen Menschen das Leben, im schlimmsten kann sie zu einer Katastrophe führen: Dual-Use-Problematik nennen Wissenschafter dieses Problem ihrer Branche. Derzeit sind es die Virologen, die das Dilemma quält.

Erstmals hat eine US-Regierungsorganisation zwei Wissenschaftsmagazine aufgefordert, bestimmte Studienergebnisse nicht zu veröffentlichen - aus Angst, dass Terroristen das Wissen instrumentalisieren könnten. Niederländischen Forschern war es gelungen, das Vogelgrippevirus H5N1 so zu mutieren, dass es in Versuchen per Tröpfcheninfektion übertragbar war - zwar nur von Frettchen zu Frettchen, das Frettchenmodell erlaubt aber gewisse Rückschlüsse auf den Menschen.

Das Virus gehört zu den Influenza-Viren und ist für Geflügel höchst gefährlich, die meisten Infektionen verlaufen tödlich. Auch von 600 infizierten Menschen starben mehr als die Hälfte an der Krankheit. Allerdings hatten sich fast alle an Geflügel infiziert - eine Mensch-zu-Mensch-Übertragung über die Luft war bisher nicht möglich.

Mit den Erkenntnissen der niederländischen Wissenschafter könnte es Terroristen gelingen, das Virus so zu mutieren, dass es sich wie andere Grippeviren verbreitet - befürchtet zumindest das National Advisory Board for Biosecurity. Es hat die beiden Fachmagazine "Nature" und "Science" aufgefordert, die Ergebnisse nur so zu veröffentlichen, dass sie für andere nicht reproduzierbar sind.

Das Board hat nur beratende Funktion und kann den Magazinen die Veröffentlichung nicht untersagen - die Redaktion nehme die Bedenken aber sehr ernst, sagt Bruce Alberts, Chefredakteur von "Science", zur "New York Times". Die US-Regierung müsse sich jedoch eine Möglichkeit überlegen, wie die Ergebnisse auch ohne Veröffentlichung in den Zeitschriften der wissenschaftlichen Gemeinde zugänglich gemacht werden können.

Die niederländischen Studien waren vom US-Gesundheitsministerium mitfinanziert worden. Durch die Forschung erhofften sich die Wissenschafter Erkenntnisse darüber, wie das Virus sich verändern muss, um von Mensch zu Mensch übertragbar zu sein. So könnten Mediziner früher gewarnt werden, wenn das Virus in diese Richtung mutiert.

"Für die Influenzaforschung sind das extrem wichtige Erkenntnisse", sagt Franz Heinz, Vorstand des Instituts für Virologie an der Uni Wien, zum STANDARD. Als H5N1 erstmals beobachtet worden war, sei in der wissenschaftlichen Gemeinschaft die Angst vor einer Pandemie umgegangen: "Wenn sich das von Mensch zu Mensch per Tröpfcheninfektion überträgt, ist Feuer am Dach."

Die Idee, dass Terroristen die Erkenntnisse missbrauchen könnten, seien nicht völlig aus der Luft gegriffen - auch wenn sie dafür sehr gut ausgebildet und ausgerüstet sein müssten. Die Diskussion, ob man die Studien veröffentlichen soll, kommt laut Heinz zu spät: Die Ergebnisse wurden bereits im Herbst auf einer Fachtagung in Malta vorgestellt, zudem wurden einige Exemplare der Studie bereits an andere Wissenschafter verschickt. (tob/DER STANDARD, Printausgabe, 22. 12. 2011)