
Gesprächsbedarf: Jana Schulz unterhält sich mit ihrem Vater (in Puppengröße), der in seiner Fabrik Nazi-Mode herstellen lässt.
Wien - Mit Oliver Kluck (Jahrgang 1980) hat das Burgtheater einen noch jungen, aber hochbegabten deutschen Dramatiker für sich entdeckt. Kluck gewann den Förderpreis beim Berliner Theatertreffen, und er erhielt - nicht minder bedeutend - auch den Kleist-Förderpreis für junge Dramatik. Sein neues Stück, Die Froschfotzenlederfabrik, offenbart jetzt bei der Uraufführung im Kasino am Schwarzenbergplatz das Können des auf der Ostseeinsel Rügen Geborenen erstmals in Wien.
Bereits im Herbst war Oliver Kluck am Schauspielhaus Graz mit Texten vertreten: Daraus entstand der Abend Der Wiederaufbau des Haider-Denkmals. Klucks Texte haben Haltung, die hat er sich nicht zuletzt beim vielen Beschwerdebriefschreiben erarbeitet. Und sie reißen Assoziationsräume auf. Die Froschfotzenlederfabrik ist ein explosives Abbild jüngerer deutsch-deutscher Geschichte, in der eine Familie am Umstand leidet, dass das Oberhaupt in seiner Textilfabrik Nazi-Mode herstellen lässt.
"Leben in kaputten Systemen" ist Klucks Motto, und die Brüchigkeit sämtlicher sozialer, wirtschaftlicher oder politischer Abmachungen macht Regisseurin Anna Bergmann in ihrer kaskadenhaften Trash-Inszenierung gleich für ganz Mitteleuropa aus: Während Europa an zu hohen Lohnnebenkosten, an zu wenig Spitalsbetten, an jugendlicher Sinnlosigkeitsempfindung und sowieso an der eigenen Vergangenheit leidet, erklimmen "echte" Migranten die Bühne und beanspruchen ihren Platz in diesem kaputten System.
Das ergibt erst ab der Hälfte ein ineinandergreifendes Bild. Erst da schraubt sich der Abend auf jene übersteigerte Ebene, die dieses groteske Gegenwartspanoptikum im Kern auszeichnet.
Die Inszenierung breitet sich im gesamten Raum des Kasinos aus: Das Publikum sitzt an Tischen mit Blick auf eine von einem bombastischen Säulengang (aus Pappe) abgeschlossene Stufenbühne, auf der mit hereingeschobenen Wänden wechselnde Schauplätze angedeutet werden. Eine der Form des Textes entsprechende heterogene Welt aus Revue, Volkstheater und Puppenspiel. Das Geschehen auf Nebenbühnen wird mit Livekameras groß projiziert.
Des Rätsels Lösung: Froschfotzenleder ist der Begriff für jenes Lederimitat,
das einst in der DDR sehr beliebt war. Die Fabrik stellt wohl jene Bomberjacken
her, die die arbeitslose Verwandtschaft auf dem Land im Osten trägt. Auch diese
Oppositionen (Land - Stadt, Arbeiter - Student; West - Ost) sind Thema. Das
Ensemble, allen voran Jana Schulz als Fabrikantentochter, spielt
hervorragend. (Margarete Affenzeller / DER STANDARD, Printausgabe, 23.12.2011)