Verbringen ein verwirrendes Wochenende auf dem Land: Michael Maertens, Dorothee Hartinger, Roland Koch, Sunnyi Melles und Martin Schwab (von links) in "Eine Mittsommernachts-Sex-Komödie"

Foto: Burgtheater / Werner

Sunnyi Melles liebt Woody Allens jüdischen Humor.   Melles, 53, Tochter eines ungarischen Dirigenten und verheiratete Prinzessin zu Sayn-Wittgenstein-Sayn, reifte in Dieter Dorns Münchner Kammerspiel-Ensemble zum Star. Matthias Hartmanns Burg-Ära bereichert sie mit abgründig komischen Charakteren.

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Im Gespräch mit Ronald Pohl übersetzt sie Woody Allens Begriffe von Liebe und Sehnsucht in die Prosa des Alltags.

Wien - In Woody Allens A Midsummer Night's Sex Comedy treffen sich drei Pärchen auf dem Anwesen eines Hobby-Erfinders (Michael Maertens), wo sie ein delikates Spiel der wechselseitigen Anziehung und Abstoßung erleben. Michael Hartmanns Burg-Silvesterpremiere Eine Mittsommernachts-Sex-Komödie trotzt dem Winter mit einem blätterreichen Zauberwald. Bühnenbildner Stéphane Laimé hat ihn gestaltet.

Standard: Sie geben in Woody Allens Mittsommernachts-Sex-Komödie die Figur der Ariel. Wie kommt man auf die Idee, die Mittsommernacht ausgerechnet auf den Silvesterabend zu legen?

Melles: Bereits als ich in Zürich mit Matthias Hartmann an Bernhards Immanuel Kant arbeitete, sagte er: "Zu Silvester erzähle ich immer einen Witz - vor Publikum." Er will den Leuten ganz einfach zu Silvester nicht das gewöhnliche Repertoire vorsetzen. Die Stückauswahl ist von ihm: Der Sommernachtstraum meint die Irrungen und Wirrungen der Liebe - den Eros. Sex und Liebe sind die zentralen Inhalte. Die Psychoanalyse, aber auch Autoren wie Shakespeare und Allen haben das Thema in Begriffe und Naturmetaphern übersetzt. Man spricht dann von "Wald", von "Paris", von "Moskau" und meint sehnsuchtsbesetzte Orte. Shakespeare besaß diese Kraft, um zu sagen: Die Irrungen und Wirrungen, das sind "der Mond", "die Insel", "der Wald". Tschechow hat die Naturmetaphern psychoanalytisch auf die Räume verlegt, und Woody Allen hat beides miteinander verkoppelt.

Sein Leben beschäftigt mich sehr. Ich habe es immer gerne, wenn die Stoffe aus dem Leben sind. Das Leben gehört auf die Bühne - nicht umgekehrt. Allen spricht ja viel von dem "Höhepunkt", in der Sexualität, aber er meint auch das Verpassen dieser Gelegenheit wie auch einer Liebe - und "wie die Zeit vergeht". Einer meiner Lieblingssätze aus dem Stück lautet: "Zwei Menschen erfahren, wenn sie sich lieben, Dinge voneinander, von denen sie nie geträumt hätten." Mein Lieblingssatz. Kann man lieben, ohne es körperlich zu tun? Oder kann man Sex haben ohne Liebe?

Standard: Beschäftigt Sie dabei die Person Allen?

Melles: Darin liegt ein Rätsel: Woody Allen ist genial in seinen Texten und Filmen, und trotzdem hat mich die Reaktion seines Sohnes beschäftigt, der seit 20 Jahren kein Wort mehr mit ihm spricht, da Allen sein eigenes Adoptivkind geheiratet hat.

Standard: Er gleicht dem Psychoanalytiker, der sich selbst nicht heilen kann?

Melles: Dem wir alle gleichen. Wir sitzen alle in demselben Boot, die Zeit tickt immer weiter.

Standard: Hält Woody Allen mit seinen Witzen über die Sexualität sich seine eigene und jene der anderen nicht auch ein Stück weit vom Leib?

Melles: Ich liebe seinen jüdischen Humor, der die Grausamkeiten erträglich macht.

Standard: Aber es wird bei ihm unausgesetzt über die Liebe geredet.

Melles: Shakespeare hat die noch längeren Stücke gehabt. Die Genialität, über Liebe zu reden, eignet Shakespeare, aber eben auch einem Autor wie Allen. Die Verwirrungen des Eros sind für uns alle gleich. Durch alle Schichten gilt: Wie der Mensch gestrickt ist, so tickt er. Wir sind auch unserer eigenen Evolution ausgeliefert. Wir sind von Trieben gesteuert, aber die Liebe ist eine Erfindung der Menschen. Das können wir dogmatisieren durch die Religion, wir können Gesetze darüber aufstellen. Wir erfahren auch wissenschaftlich immer mehr über uns. Aber hilft uns das weiter? Die Probleme, die Moralvorstellungen - oft denken wir, das alles habe mit der Magie des Universums zu tun. Das Tier in uns kennt aber nicht die Begriffe "Seele" oder "Universum.

Standard: Das Thema Sex ist doch auch abgewandert: in die Ratgeberkolumnen, in die Fernsehformate, ins Internet zu Youporn.

Melles: Ja, es gibt im Fernsehen Kartenleger. Wenn im Urwalddorf der Schamane um Rat gefragt wird, so gibt er vielleicht Kräuter und Drogen aus, die eine Trance auslösen. Aber meine Trance ist die Musik. Es gibt Bravo-Heftchen, und vorher gab es bereits die Memoiren von Casanova. In jedem Jahrhundert fanden sich Rasputins, die eine sinnliche Suggestion ausübten.

Standard: Aber die Liebe ist doch insgesamt entzaubert worden?

Melles: Nicht bei allen Menschen. Eine Mitt-Sommernachts-Sex-Komödie erzählt, wie Ariel, die Figur, die ich spiele, einen Mann nach Jahren wieder trifft. Sie erlebt mit ihm den Moment, in dem man eins wird, und stellt hinterher fest: ... mehr verrate ich nicht. In diesem Stück findet die Erlösung durch Erkenntnis, durch Selbstreflexion statt. "Schauspielen" ist da ein schlechtes Wort. Man ist etwas und tut etwas, um sich besser zu erkennen! Denn man kann sich ja sehr schwer selbst belügen. Ich menge mich ja auch in die Probenarbeit ein und gelte deshalb manchmal als "schwierig". Dabei bin ich nur aufrichtig - und stelle mich selbst der Kritik. Selbst um den Preis, dass ich nachher drei Tage lang heule.

Standard: Beruht Allens Witz nicht auch darauf: Er macht sich über den körperlichen Liebesleistungsdruck lustig, über die Idee, dass die Menschen andauernd begehren müssen, "guten" Sex haben müssen ...

Melles: Es ist ein Druck. Kann ich noch, will ich noch, darf ich noch? Bin ich noch begehrenswert, begehre ich? Kann ich begehren, ohne zu lieben? Werde ich geliebt? Auch Frauen können "Du weißt schon wie"-gesteuert sein. Man kann Dinge aber verwalten: Wir besitzen die Kunst, wir können sublimieren. Aber wir können weder unsere kulturellen Hemmungen abwerfen noch die biologische Uhr je ganz ausschalten. Die Eros-Uhr tickt immer weiter. Deshalb malen wir, schreiben wir, komponieren wir. Deshalb spielen wir dieses Stück.
(DER STANDARD, Printausgabe, 24./25./26.12.2011)