Der Eingang zum "Little Flower"-Dorf in der nordindischen Provinz Bihar: Hier finden Leprakranke aus der Umgebung Aufnahme, Versorgung und Arbeit.

Foto: Little Flower

Das Krankenhaus im Dorf zählt zu den größten medizinischen Leprazentren des Landes. Über 50.000 Patienten wurden hier und in den benachbarten Leprakolonien in den vergangenen 30 Jahren behandelt.

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Indien hat die größte Dichte an Leprakranken weltweit. Die Betroffenen leiden unter Geschwüren, Beulen und Knoten auf der Haut; Beine und Arme sind oft wunde Stümpfe.

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Die Infizierten im Dorf sind zwar nicht mehr ansteckend, bleiben aber durch ihre Verstümmelungen gezeichnet.

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Neben einem Krankenhaus bauten die Bewohner des Dorfes eigene Schulen und Hütten für sich und ihre Familien. Heute leben und arbeiten rund 1000 Menschen im "Little Flower"-Dorf.

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Neben Land- und Milchwirtschaft sowie Viehzucht ist heute der Anbau und die Verarbeitung von Wildseide einer der wichtigsten Arbeitsbereiche des Projekts.

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Claudia Vilanek, Organisatorin von "Little Flower" in Österreich, mit einer Dorfbewohnerin am Spinnrad. Die Halleinerin besuchte 1983 erstmals das Dorf und fungiert heute als Sprachrohr und Vertreterin des Projekts in Europa.

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Damit sich Kinder in den Leprakolonien nicht anstecken, werden sie ins Dorf gebracht, wo sie die Schule besuchen und die Chance haben, einen Beruf zu erlernen.

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Die zweite und dritte Generation, die heute im Dorf lebt, ist so gut wie leprafrei.

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Schläge und Hass erwarteten Bruder Christdas im nordindischen Bundesstaat Bihar, als er vor 25 Jahren mit dem Bau einer Zufahrtsstraße zu seinem Dorf für Leprakranke an der Grenze zu Nepal begann. Leprakranke waren Ausgestoßene, leichte Opfer für Gewalttaten, eine Bedrohung für die Gesellschaft. Mit ihnen verkehrte man nicht, ihnen zu helfen war verpönt.

Ungeachtet der Anfeindungen setzte Bruder Christdas, der im vergangenen Sommer 75-jährig verstarb, als Missionar des Ordens von Mutter Teresa seine Vision Schritt für Schritt um. "Lepra hat nicht nur eine medizinische Seite, sondern erfasst alle Lebensaspekte eines Menschen", war der Projektleiter überzeugt. "Auf eigenen Füßen stehen - auch wenn sie keine Füße mehr haben", ist bis heute das Leitmotiv des Projekts "Little Flower".

Stand zu Beginn die gesundheitliche Versorgung und Aufklärung im Vordergrund, so entwickelte es sich in der Folge immer mehr zum umfassenden Sozialprojekt mit neuen Schwerpunkten: Neben einem Krankenhaus bauten die BewohnerInnen eigene Schulen und Hütten. In weiterer Folge wurden Land- und Milchwirtschaft, Viehzucht sowie eine Seidenspinnerei und -weberei etabliert. Damit wurde die Basis für Arbeit und Einkommen der heute rund 1000 DorfbewohnerInnen und der Betroffenen der Leprakolonien in der Umgebung der Stadt Raxaul geschaffen.

Ansteckungen zurückgegangen

Seit es "Little Flower" gibt, hat sich die Zahl der Leprakranken in der Umgebung drastisch verringert. Über 50.000 PatientInnen wurden im Dorf und in den Kolonien in den vergangenen 30 Jahren behandelt. Die Krankheit wird durch Bakterien ausgelöst, durch Blut und Speichel übertragen und trifft, da sich die Bakterien im Körper nur langsam vermehren, vor allem geschwächte, unterernährte Menschen mit geringen Abwehrkräften. Sie leiden unter Geschwüren, Beulen und Knoten auf der Haut, Beine und Arme sind oft nur noch wunde Stümpfe.

"Damit sich Kinder in den Kolonien nicht anstecken, werden sie ins Dorf gebracht, wo sie die Schule besuchen und die Chance haben, einen Beruf zu erlernen", sagt die Halleinerin Claudia Vilanek, Hauptverantwortliche für "Little Flower" in Österreich und Sprachrohr des Projekts in Europa. "Zum Glück kommen auch immer mehr Betroffene bei den ersten Anzeichen der Krankheit zu uns, was die Heilungschancen wesentlich erhöht. Unter Gleichgesinnten lernen sie, mit ihrer Krankheit umzugehen, was sehr hilft, sie zu entstigmatisieren."

Die zweite und dritte Generation, die heute im Dorf lebt, sei so gut wie leprafrei, für sie wurden eigene Bildungs- und Arbeitsprojekte gestartet. Auch die Infizierten im Dorf seien nicht mehr ansteckend, blieben aber durch ihre Verstümmelungen gezeichnet.

Am seidenen Faden

Einer der wichtigsten Arbeitsbereiche des Projekts sind heute der Anbau und die Verarbeitung von Wildseide: 1000 Meter pro Monat werden produziert, dann zu Schals verarbeitet, in eigenen Geschäften verkauft und exportiert. 40 WeberInnen arbeiten im Dorf an 24 Webstühlen, zusätzlich sind 300 Spinnräder in Privathäusern im Einsatz - vor allem Frauen wird dadurch ein Einkommen gesichert.

Finanziert wird "Little Flower" aus Spenden - die selbst erwirtschafteten Einkünfte werden auf einem Konto mit höherem Zinssatz deponiert. "Ein in Asien übliches, aber in Zeiten der Globalisierung sehr fragwürdiges, weil instabiles Sparmodell", erklärt Claudia Vilanek. So habe das Projekt schon einmal stark gelitten, als die Zinssätze um das Jahr 2000 von 15 auf 5,25 Prozent hinunterrasselten. "Bruder Christdas' Wunsch war es, bis 2006 wirtschaftlich autark, ohne Spendengelder, arbeiten zu können", so Vilanek. "2012 werden wir sein erträumtes Sparziel fast erreichen. Wir werden das Geld aber in neue Projekte investieren, um daraus wieder neue Einkünfte schöpfen zu können."

Die wirtschaftlichen Veränderungen werden von einem erfahrenen Team begleitet: So ist die Nachfolgerin von Bruder Christdas, Kabita Bhattarai, ausgebildete Managerin und langjährige Mitarbeiterin von "Little Flower". "Und auch in England haben wir einen Partner, der Erfahrung mit globalen Märkten und Entwicklungshilfe hat", so Vilanek, die selbst hauptberuflich als Wirtschaftscoach arbeitet.

Hotel als Arbeitgeber

Als bisher ambitioniertestes Großprojekt plant "Little Flower" derzeit den Bau eines Hotels mit zehn bis 20 Betten in Raxaul. Der Hauptgrenzort zu Nepal wird von Touristen und Geschäftsleuten viel bereist, bietet aber keine adäquaten Übernachtungsmöglichkeiten. "Bislang 'flüchten' Geschäftsleute wie Touristen schnell noch auf die nepalesische Seite, bevor der Schranken um 21 Uhr zugeht, um dort Quartier zu nehmen. Ein neues Hotel kann vielen Menschen, die 'Little Flower' mitaufgebaut haben, sowie den nächsten Generationen sichere Arbeit bieten", sagt Vilanek, die auf Unterstützung durch die österreichische Wirtschaft mit ihren Kontakten nach Indien hofft.

Die Produkte für die Gastronomie sowie die Textilien sollen aus der eigenen Landwirtschaft und Weberei kommen. Auch Architekturstudierende der Kunstuni Linz sind am Hotelbau beteiligt, darunter Vilaneks Sohn, der seit 20 Jahren mit dem Lepraprojekt vertraut ist. Schon im Februar reisen sie zu einem ersten Lokalaugenschein an.

Vorurteile abbauen

Hatte Bruder Christdas vor 30 Jahren noch mit extremen Vorurteilen gegenüber Leprakranken und Menschen, die ihnen helfen, zu kämpfen, kann sich Kabita Bhattarai heute über Unterstützung aus der Gesellschaft freuen - zumindest in der nahen Umgebung. "Die Vorurteile in der Gegend, die zu den ärmsten Indiens zählt, sind zum Großteil abgebaut worden. An der Verbindungsstraße zur Stadt, für deren Bau Christdas und seine Mitarbeiter noch Schläge kassierten, machen deren Einwohner heute ihren Sonntagsspaziergang." (Isabella Lechner, derStandard.at, 9.1.2012)