Niko Pelinkas Karrieresprung regt auf. Die Wutbürger schimpfen wieder auf die Politik. Natürlich zu recht. Aber aus Sicht eines kleinen Lokalpolitikers muss ich auch sagen: Leute, ihr macht es euch zu leicht damit.

Welches Schweinderl hätten Sie gerne?

Der Politologe Francis Fukuyama erzählt in "The Origins of Political Order" eine interessante Geschichte: Papua Neu-Guinea ist eine immer noch in Stämmen, Wantoks genannt, organisierte Gesellschaft. Jeder Wantok wird von einem Big Man geleitet – der Titel ist nicht erblich, er muss erworben werden. Erworben, indem man sich um die Mitglieder des Wantoks kümmert, vor allem, indem man sie mit Schweinen, Muschelgeld und anderen Luxusgegenständen des Stammeslebens versorgt. Um ein Big Man zu werden, muss man also schon vorher reich sein und man muss reich bleiben – denn wenn jemand im Stamm mehr Schweine und mehr Muscheln zu verteilen hat, ist man Big Man gewesen. Als Papua Neu-Guinea in den 70ern in die Unabhängigkeit entlassen wurde, richteten die abziehenden Australier ein parlamentarisches System ein, das sich an ihrem eigenen orientierte. Parteien wurden gegründet und man ging davon aus, dass ein Wettstreit der Ideologien und Ideen bald ein ähnliches System wie in den meisten westlichen Demokratien ergeben würde. Das Ergebnis war pures Chaos: Die Menschen wählten nicht nach weltanschaulichen Überzeugungen, sondern ihren Big Man. Und der kümmerte sich als Abgeordneter nicht um das Wohl des Staates, sondern um die Umverteilung von Ressourcen aller Art an seinen Stamm und dessen Mitglieder. In den Augen der westlichen Politikberater und der ins Land geholten ausländischen Investoren war das offene Korruption. Für die Einwohner von Papua-Neu Guinea war das eine gute alte Tradition. Ein Politiker hat doch die Erwartungen seiner Wählerschaft zu erfüllen, oder? Oder?

Österreichs Stämme

Was sind diese Erwartungen in Österreich? Sehr oft diese: Einen Job für den Neffen am Gemeindeamt, oder einen für die Tochter in der Kammer, oder zumindest einen Sommerjob für die Frau vom Freund vom Bruder der Oma bei irgendwelchen Sommerfestspielen. Und wenn das nicht geht, halt irgend einen anderen Gefallen. Je "näher dran" an den Menschen die Politik ist, desto stärker tritt dieser Effekt ein. In den Ländern stärker als im Bund, in den Gemeinden stärker als auf Landesebene, in Dörfern stärker als in der Großstadt. Das Prinzip ist überall das Gleiche, nur die Gewichtung zwischen Rot und Schwarz wechselt. Und am Schlimmsten ist wohl in Kärnten, denn die Blauen aller Schattierungen wissen nur zu gut, was ihre Leistung zu sein hat.

Ein Lehrbeispiel

Die Freiheitlichen und ihre Splittergruppen sind ein Paradebeispiel, wie das System funktioniert. Jörg Haider, der als Kämpfer gegen rot-schwarzen Postenschacher begann, sammelte Österreichs größten Haufen von Opportunisten um sich. Er hat den Postenschacher nicht beendet, sondern umgelenkt. Die Revolution der Strache-Leute war dann ja auch der Aufstand derer, die keinen Posten bekamen.

Im Zuge der internen Machtkämpfe wurde auch Manfred Kölly, freiheitlicher Landtagsabgeordneter und Bürgermeister des burgenländischen Deutschkreutz, aus der FP ausgeschlossen. Um das zu begründen, wurde von seinen "Parteifreunden" ein Vertrag veröffentlicht. Kölly und der SP-Landesgeschäftsführer hatten für den Freiheitlichen einen gut bezahlten Job in einem Landesunternehmen ausgepackelt. Mit roter und blauer Unterschrift. Die FP-internen Widersacher konnten dieses Dokument natürlich nur gegen Kölly verwenden, weil sie davon wussten...

So weit, so übel. Aufschlussreich ist, wie die Geschichte weiterging: Kölly gründete die Liste Burgenland und zog mit einer Punktlandung, auf die Stimme genau, wieder in den Landtag ein. Das ist als Lehrbeispiel spannender als alle Postenschachereien der Großparteien. Die haben ja für die Wahl auch ein inhaltliches Programm, auf Grund dessen sie theoretisch gewählt werden könnten. Kölly hatte keines. Er wurde nur als Big Man gewählt. Jeder, der ihn gewählt hat, musste von seinem geplatzten Vertrag wissen und hat sich nicht daran gestört. Die meisten Stimmen hat er in Deutschkreutz gemacht. Und folgerichtig fragt Kölly nun bei jedem einzelnen Tagesordnungspunkt im Landtag: Was bekomme ich für Deutschkreutz, wenn ich zustimme? Was kann ich in meinen Wantok heimschleppen?

Sein Mitstreiter ist der ebenfalls Ex-Blaue Ex-Landesrat Wolfgang Rauter. Dessen Wantok ist Großhöflein. Dort wollen ein paar Großgrundbesitzer seit langem eine Umwidmung ihrer Flächen, bekommen sie aber nicht genehmigt. Nun steht im Burgenland ein großes Geschäft an: Der Stromversorger BEWAG und der Gasversorger BEGAS sollen fusionieren. Die BEGAS gehört über 100 Gemeinden, deren Anteile nun abgelöst werden sollen. Rauter droht, dieses Geschäft über eine Volksabstimmung in Großhöflein zu blockieren, wenn nicht die Umwidmungen für die Großgrundbesitzer genehmigt werden. Das eine hat mit dem anderen nicht das Geringste zu tun, aber das ist egal. Rauter ist ein Big Man, der Schweine verteilen muss. Die Geschichte hat noch eine besonders schöne Drehung: Der BEWAG/BEGAS-Deal soll jetzt binnen weniger Wochen blitzschnell durchgezogen werden. Im Herbst sind nämlich Gemeinderatswahlen. Hundert Bürgermeister sollen unmittelbar davor einen fetten Batzen Geld zu verteilen bekommen. Einer davon ist Manfred Kölly. Der braucht das Geld für seinen Wantok und seine Wiederwahl und will den Deal. Aber jeder Big Man ist sich selbst am nächsten...

Bei den Grünen andersrum

Ein Einwand kommt auf diesen Text sicher: Dass wir Grünen bloß nicht so heilig tun sollen, und dass wir schon genau so wie die anderen werden würden, wenn wir nur mal regierten... Nun, in Oberösterreich und Graz regieren wir schon lange und versorgen unsere Leute nicht serienweise mit Posten. Und das beste Beispiel ist Wien:. Bei der Wahl haben zwei Abgeordnete ihr Mandat verloren. Trotz Regierungsverhandlungen und erfolgreichem Abschluss wurde beiden kein Job besorgt.

Ein grüner Verhandler hat mir erst unlängst ganz belustigt erzählt, dass die SPler immer darauf gewartet haben, wann die Grünen endlich mit ihren Personalforderungen rausrücken... und am Ende ganz baff waren, als da nichts kam. Die Sache läuft für uns andersrum: Im Herbst wurde im Burgenland das erste Mal eine Grüne Direktorin einer Schule. Wie das ging? Sie war die einzige Bewerberin für die Stelle. Natürlich gab es heftige politische Interventionen: Die SP hat aktiv versucht, andere Lehrer zu einer Bewerbung zu bewegen, um den Job vergeben zu können. Dann hätten alle gesagt: "Na der hat den Job ja nur wegen der Partei."

Stammeslogik

Dieser oft gehörte Satz klang in meinen Ohren früher wie Kritik. Schließlich wertet man damit die Person völlig ab. Ich habe lange gebraucht, um zu verstehen, dass viele Menschen die andere Bedeutungsebene hören: Der Satz wertet die Partei auf. In der Logik der Großparteien ist dieser Satz eine Festigung ihrer Machtbasis. Es hätte die SP nicht gestört, wenn alle gewusst hätten, dass die Partei den Direktorenposten besetzt hat. Das erklärt, warum der Fall Pelinka so plump eingefädelt wurde: Man findet nicht nur nichts dabei, die Logik funktioniert umgekehrt. In der SP sehen jetzt alle: Die Gefolgschaft von Laura Rudas steigt die Karriereleiter nach oben. Laura verteilt Schweine. Laura ist ein Big Man. Klingt komisch, ist aber so. Rudas wird durch den Fall Pelinka innerparteilich nicht beschädigt, sondern gestärkt. Welcher rote Funktionär, der es auf seiner Ebene ja nicht anders macht, sollte das anders sehen?

Ein paar hundert Leute mögen sich ein paar Tage aufregen. Na und? Damit kommunizieren sie nur eines ins Land hinaus: Die Partei hat immer noch die Macht, dir zu helfen, wenn du was werden willst.
Das selbe in Blau: Glaubt wirklich jemand, dass Strache parteiintern kritisiert wird, weil zum ORF-Deal auch ein neu geschaffener Posten für den blauen Verbindungsmann Thomas Prantner gehört? Ganz im Gegenteil, Strache liefert endlich. Und er verspricht damit, nach der Nationalratswahl noch mehr zu liefern. Posten sind Schweine. So muss man Österreichs Innenpolitik lesen, dann ergibt sie Sinn.

Wechselwirkung

Die Frage, ob Politiker zuerst korrupt waren oder Wähler zuerst Gefallen erledigt haben wollten, ist müßig. Es ist eine selbstverstärkende Wechselwirkung. Beide Großparteien haben das System der gegenseitigen Gefälligkeiten seit Beginn der Zweiten Republik auf- und ausgebaut, und sie haben nicht gerade gegen breiten Widerstand aus der Bevölkerung gekämpft. Die Freiheitlichen und ihre Splittergruppen zeigen, dass das System immer noch ausbaufähig ist.

Die Pelinka-Bestellung ist Normalzustand in Österreich. Aufgrund der Marktmacht des ORF ist sie als Einzelfall demokratiepolitisch bedenklicher, als die alltäglich übliche Postenbesetzung in Gemeindeämtern, Behörden, Kammern, Schulen, öffentlichen Unternehmen und und und und. Sie ist die berühmte Spitze des Eisbergs, aber in Summe ist die Masse der unter der Oberfläche stattfindenden Fälle noch viel gefährlicher für die Demokratie.

Nur: Das, was da unter der Oberfläche geschieht, davon weiß ein großer Teil der Bevölkerung und das billigt ein großer Teil der Bevölkerung. Machen wir uns da nichts vor. Die SP lebt nicht von den ideologischen Sozialdemokraten. Wäre dem so, wäre ihre Politik eine andere. Sie lebt von den kleinen Niko Pelinkas. Die VP lebt von den kleinen Ernst Strassers. Und die FP lebt von den kleinen Meischis und Uwes. (Oder sind die inzwischen bei einer Splittergruppe? Egal.)

Für jemanden, der von außen drauf sieht, ist das alles Korruption. Für die drinnen ist es eine gute alte Tradition. Deshalb sind sie ja bei der Partei. Deshalb wählen sie ihren Big Man.
Es ist eh richtig, wenn Wutbürger nun wieder Politiker und Pelinkas beschimpfen, es reicht aber nicht. Das ist zu einfach. Und es bewirkt exakt gar nichts, solange diese Politiker wissen, dass sie genau dafür von anderen gewählt werden.

Fast jeder in Österreich kennt Leute, die solche Zustände wählen. Die solche Zustände WOLLEN. Dort muss man auch ansetzen, es geht um die Wechselwirkung. Man muss auch mit diesen Menschen streiten, selbst wenn – nein, gerade wenn – sie persönliche Freunde und Verwandte sind. Ja, es geht immer auch um unseren eigenen Wantok. Wir müssen ihnen in die Augen schauen, wenn sie von der kleinen Gefälligkeit erzählen, die der Bürgermeister oder der Bezirksrat unlängst für sie erledigt hat und die Sache beim Namen nennen: Schweinerei. (Michel Reimon, derStandard.at, 29.12.2011)