Der Schlangenstern Amphiura filiformis ist eine der zwanzig Arten, deren Verbreitung großräumig modelliert wurde. Der Stachelhäuter kommt unter anderem in der Deutschen Bucht vor.

Foto: Ingrid Kröncke

Was lebt wo im Sand und Schlick auf dem Grund der Nordsee und welche Einflüsse hat der Klimawandel auf die Verbreitung der einzelnen Spezies: Diese Frage haben deutsche Wissenschafter an zwanzig Beispiel-Arten im Rahmen einer innovativen Studie versucht zu beantworten. Dabei wurden anhand von Fundortkarten die Genauigkeit verschiedener Modelle überprüft. Die Ergebnisse sollen dazu beitragen, zuverlässigere Vorhersagen für die zukünftige Verbreitung von Arten in einem sich verändernden Klima zu treffen. Die Studie ist vor kurzem im Fachjournal "Marine Ecology Progress Series" erschienen.

Die Modellierung der aktuellen Verbreitung von Arten liefert grundlegende Informationen, um zu verstehen, welche Areale von bestimmten Arten im Zuge des Klimawandels in Zukunft besiedelt werden. "Einzelne Modelle sind jedoch immer mit Fehlern behaftet. Wichtig für Zukunftsprognosen ist es, diese Fehlerrate wissenschaftlich abschätzen zu können.", erklärt Henning Reiss, Wissenschafter bei Senckenberg am Meer und Erstautor der Studie. Zunächst berechneten die Forscher die Verbreitung zwanzig bodenlebender Arten wirbelloser Tiere - sogenannte Benthos-Arten - anhand von neungängigen Modellierprogrammen.

"Gefüttert" wurde die Software mit Datensätzen von zehn Umweltvariablen, wie beispielsweise Tiefe und Temperatur. Von diesen hängt maßgeblich ab, ob die jeweilige Art an einem bestimmten Standort leben kann oder eben nicht. Es ist der umfangreichste Datensatz, der jemals für die Nordsee und die bodenlebende Wirbellosen-Fauna ausgewertet wurde.

Modelle im Wettbewerb

Um die Modelle zu prüfen, wurden die modellierten Artenvorkommen mit Daten des tatsächlichen Vorkommens verschiedener Benthos-Arten in der Nordsee verglichen, welche von Senckenberg-Wissenschaftern innerhalb diverser Kooperationsprojekte erhoben wurden. "Die Modellergebnisse zur Verbreitung der Arten gehen teilweise um über 30 % auseinander. Diese Abweichung ist sehr hoch.", fasst Ingrid Kröncke, die im Senckenberg am Meer und am Biodiversität und Klima Forschungszentrum (BiK-F) forscht, die Ergebnisse zusammen. "Für die Modellierung der künftigen Artenausbreitung müssen wir aber wissen, welches Modell die verlässlichsten Resultate liefert."

Die Modellierung der Verbreitung von Flora und Fauna ist im terrestrischen Bereich längst gängige Praxis. Im Meer werden solche Habitatmodellierungen erst seit etwa fünf Jahren genutzt, und auch eher lokal oder für einzelne, kommerziell wichtige Fischarten. Die aktuelle Studie deckt nun die gesamte Nordsee ab und ist daher ein Novum. Die Gesamtbetrachtung zeigt, dass sich Arten mit örtlich begrenztem Lebensraum präziser modellieren lassen als solche, die in der gesamten Nordsee leben.

Temperatur als wichtigste Einflussgröße

Die Modellierung ergab, dass die Wassertemperatur auf dem Nordseegrund einen wesentlichen Einfluss auf die Verbreitung der Arten hat. Dieses Resultat liefert, zusammen mit der nun möglichen Fehlereinschätzung, die Basis für weitere Arbeiten. Wie die zukünftige Verbreitung von Arten mit der voraussichtlichen Zunahme der Nordseetemperatur aussehen wird, wollen die Wissenschafter von Senckenberg in Kooperation mit der Universität Nordland in Norwegen und mit der Universität Hamburg herausfinden. Dazu werden Klimaprojektionen für die Nordsee mit Verbreitungsmodellen für bodenlebende Arten gekoppelt. "Die Modellergebnisse werden zeigen, wie sich die Verbreitung der Benthos-Arten durch die klimatisch bedingte Temperaturerhöhung verändert und welche Arten am stärksten reagieren. Felduntersuchungen sind aber weiterhin unerlässlich, um die Modelle zu verifizieren", so Kröncke. (red)