Es sieht so aus, als habe einmal nachts eine Fee auf Wolf Erlbruchs Bettdecke gestanden und gesagt: "Du hast einen Wunsch frei." Es muss so um 1990 gewesen sein, als sein Bilderbuch Vom kleinen Maulwurf, der wissen wollte, wer ihm auf den Kopf gemacht hat (Peter Hammer Verlag) erschienen ist. Wenn es so war, dann muss Erlbruch gesagt haben: "Liebe Fee, ich möchte tolle Kritiken und viele Preise bekommen." Anders ist schwer zu erklären, dass sich in den Rezensionen kein einziger negativer Satz über seine Buchillustrationen finden lässt, dafür kollektive Begeisterung: "Er ist toll, der Wolf Erlbruch, toll, toll", "Der Erneuerer der Kinderbuch-Illustration", "Wir freuen uns schon auf den nächsten Erlbruch. Demnächst auf dieser Seite", schreiben die Kritiker. Erlbruch ist einer der ganz wenigen, die Erwachsene genauso ansprechen wie Kinder.

Nur gibt es keine Feen. Und Erlbruch ist nicht der Typ, der sich Lob und Preis wünschen würde. "Ich mache nichts, um bei anderen anzukommen", korrigiert der zurückhaltende Mann beim Gespräch in seinem Atelier in Wuppertal freundlich. "Natürlich möchte ich es anderen zeigen, aber dann lasse ich es darauf ankommen." Und das ist wohl die Antwort auf die Frage nach dem Erfolg des 54-Jährigen: Er hat ihn auch, weil er ihm nicht hinterherläuft. Er macht, was sein Ding ist. Und das, seit er mit eineinhalb Jahren Brillen auf eine Obsttüte malte. Perspektivisch gezeichnete runde Brillen mit Henkel. Seine ganze Kindheit durch malte Wolf "wie ein Verrückter". Mit 15 Jahren hatte er einen Einbruch, den er die "Holzfäller-Phase" nennt. Sein Vater tat das nicht als Spinnerei ab, sondern schenkte seinem Sohn eine Axt. Wolf hackte Holz, fällte Bäume. Und kehrte nach einem Jahr zum Zeichnen zurück. Schon als Jugendlicher war er sich sicher, dass Zeichnen das war, "was ich einmal können würde". Er studierte Grafikdesign an der Folkwang-Schule in Essen, wurde Werbezeichner und publizierte Illustrationen in Magazinen wie Stern und Esquire. 1985 erschien das erste von ihm illustrierte Kinderbuch Der Adler der nicht fliegen wollte.

Seither hat er von Titel zu Titel entwickelt, was heute als Erlbruch-Stil gilt und oft kopiert wird. Markant sind zum Beispiel seine Figuren: ein Maulwurf, eine Ratte, ein kleiner Junge, eine Menschenfresserin. Sie alle haben etwas Tollpatschiges, Schiefes, Disproportioniertes an sich, sind Persönlichkeiten. Erlbruch zeigt auf liebevolle Weise das Skurrile an ihnen und gleichzeitig seine eigenen und unserer aller Macken und Eigenarten. Wer eines seiner Bücher aufschlägt, tritt in eine sonderbare, zeitlos anmutende Welt. Erlbruch arbeitet häufig mit Collagen, setzt seine klar konturierten Figuren vor leere Flächen, die jeder Betrachter mit der eigenen Fantasie füllen muss. Er arbeitet mit Pinsel, Feder, Kreide, Stempel, verwendet altes Kanzleipapier, Landkarten, Logarithmentafeln, Schrankpapier. Und führt so auch das Material vor. Jeder, der aufmerksam hinguckt, kann sehen, wie die Bilder gemacht sind.

Das ist durchaus als Reaktion darauf zu verstehen, dass in unserem Alltag eigene Erfahrungen immer mehr durch mediale Erlebniswelten ersetzt werden. Er erzählt von sechs jungen Männern, die er kürzlich im Eiscafé beobachtet hat: Alle sahen gleich aus, von der vorne hochstehenden Frisur bis zur polierten schwarzen Schuhspitze. "Die sechs Jungs könnten sich viel erzählen, aneinander wachsen. Aber sie tauschen sich aus über PC-Programme und trinken das richtige Getränk dazu." Wenn seine Bücher eine Moral haben, sagt er, dann die, dass die Menschen sich aus einer gewissen Entfernung betrachten und das Einmalige, Seltsame, mitunter auch nicht ganz so Hübsche an sich ertragen sollten - das Besondere eben. Das versteht Erlbruch unter Selbst-Bewusstsein. "Die Welt ist voller Bilder, die hochinteressant sind", sagt er. "Ich kann mir einen halben Tag lang eine Tischkante angucken, bis ich alles an ihr gesehen habe. Ihre Form, ihren Charakter, die Lichtreflexe." Das ist für ihn schon ein Erlebnis. Erlbruch sucht bei einem Bild oft lange, "bis es eine Seele hat, die etwas mit meiner zu tun hat".

Nach zwei Jahren Pause erscheint im Herbst wieder ein Buch, das er zu Dolf Verroens Geschichte Ein Himmel für den kleinen Bären illustriert hat. Darin will ein Bär nach dem Tod seines Opas zu diesem in den Bärenhimmel. Er fragt die anderen Tiere, ob sie ihn praktischerweise fressen können. Doch das will niemand. Es ist ein Buch, das seine Leser wieder einmal verzaubern wird. Eine Fee ist dafür nicht nötig. (Von Silke Schnettler/STANDARD; Printausgabe, 7.06.2003)