
Viele Kleingärten sind auch das Reich von Gartenzwergen. Manche davon schauen nicht nur freundlich in die Gegend, sondern ahmen das Gemüt ihrer Besitzer nach.
Wien - Der Kleingartenbesitzer bebte vor Zorn, als er sich an die Volksanwaltschaft wandte: Wieso musste ausgerechnet er die Freitreppe zu seiner Terrasse abreißen? Wie kam das Bauamt dazu? Okay, strenggenommen überschritt die Außentreppe, die sich so hübsch auf sein Flachdach wand, die 50-Quadratmeter-Beschränkung, bis zu der man in Kleingärten pro Geschoß bauen darf. Aber wieso nahm das Bauamt ausgerechnet bei ihm die Sache so streng?
Vielleicht, weil er, im Gegensatz zu anderen, keine guten Beziehungen ins Rathaus hatte? Denn, sagte der Beschwerdeführer in gerechtem Zorn: "Schließlich hält sich niemand bei uns an die 50-Quadratmeter-Klausel." Die Volksanwaltschaft konnte dem Mann nicht helfen: Gesetz ist schließlich Gesetz. Also schrieb die Volksanwaltschaft dem Beschwerdeführer, sie werde das Bauamt auffordern, auch alle anderen Zu- und Umbauten der Kleingartensiedlung erneut streng zu überprüfen. Worauf der Mann im Oktober 2011 seine Beschwerde flugs zurückzog. Wer will schon als "Vernaderer" gelten.
"Strenger als zum Nachbarn"
"Solches Verhalten erleben wir öfter, das nehmen wir nicht so tragisch", sagt Gerhard Cech, Leiter der Magistratsabteilung 37 (Baupolizei) in Wien: "Wir werden leider öfter beschimpft und verdächtigt, dass wir zum Nachbarn weniger streng waren, weil der angeblich ,Beziehungen' hat." Laut Cech entbehre das "jeder Grundlage", bei jeder baupolizeilichen Überprüfung herrsche das Vier-Augen-Prinzip, die Bezirksstellen der Baupolizei würden zudem von der Zentrale und der internen Revision überprüft.
Seit dem Frühjahr 2011 gebe es einen Ethik-Kodex, der die 320 Mitarbeiter der Baupolizei zu "objektiver Amtsführung" verpflichte und die Annahme von Geschenken sowie Nebenbeschäftigungen aller Art rigoros verbiete. Cech: "Soweit ich das beurteilen kann, geht bei uns alles mit rechten Dingen zu."
Es geht um viel Geld
Das hindert wütende Häuslbauer freilich nicht, alle möglichen Verdächtigungen auszusprechen, wie man bei der Volksanwaltschaft weiß - nicht nur in Wien. "Die Beschwerden betreffend Flächenwidmung und Bauordnung sind stark gestiegen", sagt Gertrude Brinek, Vorsitzende der Volksanwaltschaft. Die Gründe dafür beurteilen Brinek und Cech gleich: Wohnraum ist ein immer knapperes Gut, es geht immer um viel Geld, da ist Neid auf Nachbarn, die es vielleicht "leichter" hatten, nicht weit.
Dazu kommt, dass auch der Städter gern sein "Häuschen im Grünen" bewohnt - womöglich mit Top-Infrastruktur und U-Bahn-Anschluss. Und dafür eignen sich die Wiener Kleingärten, vor allem jene, in denen ganzjähriges Wohnen erlaubt ist (seit 1992), hervorragend. Österreichweit zählt der "Zentralverband der Kleingärtner" 39.234 Mitglieder, allein in Wien gibt es 26.831 Kleingärten, rund 18.000 davon auf städtischem Grund.
Eine der größten Anlagen ist der Kleingartenverein Wasserwiese im Prater, mit 866 Parzellen. 1916 von Kaiser Franz Joseph knapp vor seinem Tode den Wienern zum Obst- und Gemüseanbau gewidmet, um die Nahrungsnot der Kriegszeit zu lindern. Aus dem ursprünglich genehmigten Geräteschuppen wurde im Laufe der Zeit das Kleingartenhaus, das nicht größer als 35 Quadratmeter sein durfte, dann das Kleingartenwohnhaus (wenn ganzjähriges Wohnen erlaubt ist) mit maximal 50 Quadratmetern Grundfläche. Laut Kleingartenbauordnung müssen "75 Prozent des Kleingartens mit Rasen, Büschen oder Bäumen bestanden sein".
1500 Prüfungen pro Jahr
Eine eigene Kleingartengruppe der Baupolizei, insgesamt 50 Werkmeister, sind Tag für Tag unterwegs, um die Einhaltung dieser Vorschriften zu kontrollieren. 1500 Prüfungen gibt es pro Jahr, die Anlage auf der Wasserwiese wurde etwa 2008 genau überprüft. Ergebnis: Tatsächlich nehmen es die Wiener beim Bauen eher nicht so genau. 227 der 866 Parzellen wurden beanstandet. Immerhin in 190 Fällen konnten nachträglich Bewilligungen erteilt werden - "weil die Leute oft nicht wissen, dass sie Zubauten bewilligen müssen", sagt Cech. In 37 Fällen ging es bis zum Abrissbescheid.
Was der Baupolizei nebst renitenten Kleingärtnern zu schaffen macht, sind die langen Amtswege. Manchmal dauert die Durchsetzung eines Abrissbescheids zehn Jahre. Wiens Baupolizei-Chef Cech hofft, dass die Einführung der Landesverwaltungsgerichtshöfe schnellere Entscheide bringt.
Die Kleingarten-Häuslbauer sind jedenfalls kreativ, wenn es darum geht, beengte Wohnverhältnisse komfortabler zu gestalten. Neben der erwähnten "Außentreppe" sind vor allem Wintergärten sehr beliebt. Was als harmlose Terrasse - nicht genehmigungspflichtig - begann, wächst im Laufe der Zeit immer mehr zu. Bis zum Wintergarten, in dem am Ende nicht einmal mehr Pflanzen stehen. Nur der Hometrainer, der Fernseher und die Couch. (Petra Stuiber, DER STANDARD, Printausgabe, 4.1.2012)