Wenn man sich das vergangene Jahr im nachrichtlichen Zeitraffer ansieht, dann könnte man zu dem Schluss kommen, die Lösung aller Probleme im Gesundheitssystem bestehe aus nur vier Buchstaben: Elga. Zumindest wurde kein gesundheitspolitisches Thema 2011 so heiß diskutiert wie die elektronische Gesundheitsakte, was vor allem am vehementen Widerstand dagegen liegt. Ein Knopfdruck, und jeder weiß, wie es um die Gesundheit des Nachbarn, des zukünftigen Mitarbeiters oder des Bundespräsidenten bestellt ist? In Wahrheit ist es schon um einiges komplexer, als die Gegner von Elga suggerieren; aber so lassen sich gut Emotionen erzeugen.
Komplex ist überhaupt so ziemlich alles im Gesundheitssystem. Die grundlegende Reform, nach der alle rufen, sie ist nicht durchführbar, egal welcher Wunderwuzzi im Gesundheitsministerium sitzt. Finanzierung aus einer Hand, das Mantra der Gesundheitsökonomen - zum Scheitern verurteilt, solange nicht die Bundesländer abgeschafft und/oder die 22 Krankenkassen zusammengelegt werden. Also bleiben die beiden parallel verwalteten Systeme - Spitäler und niedergelassene Ärzte - bestehen. Was diese Doppelgleisigkeit jährlich an Mehrkosten verursacht, ist schwer zu beziffern, es ist jedenfalls eine Zahl mit vielen Nullen. Drei Milliarden Euro Sparpotenzial ortet das Institut für Höhere Studien schon seit Jahren im Gesundheitssystem; von 1,8 Milliarden Euro sprach kürzlich ÖVP-Klubobmann Karlheinz Kopf.
Viel ärgerlicher als die perpetuierte Unreformierbarkeit ist aber, wie das Kompetenz-Wirrwarr den Patienten auf den Kopf fällt. Geraten sie in die Nähe der Schnittstellen, dann wird es kompliziert oder teuer oder beides. Von ihnen verlangt man, sich möglichst kostenschonend vom Hausarzt zum Facharzt, ins Krankenhaus und wieder zurück zu navigieren, die Genehmigungen für Untersuchungen und Medikamente einzuholen und die eigenen Diagnosen im Kopf zu haben. Das alles in einer Situation, in der man sich als Nichtmediziner ohnehin ausgeliefert fühlt, in der es im schlimmsten Fall sogar um Leben und Tod geht. Dazu muss man nicht nur geistig topfit sein, es setzt auch ein Grundverständnis für österreichische Befindlichkeiten voraus. Wie ergeht es dabei wohl der demenzkranken Pensionistin? Oder dem Zuwanderer, der nicht gut Deutsch spricht?
Auch wenn das in Reformdiskussionen kein populärer Ansatz ist: Angesichts der politischen Realitäten ist das Einzige, was das kranke Gesundheitssystem nachhaltig heilen könnte, das Drehen an den kleinen Rädchen. Ein bisschen Bürokratieabbau hier, ein bisschen Ressourcenbündeln da. Das freut nicht nur die Finanzministerin, es macht im besten Fall auch den Patienten das Leben leichter. So gesehen wäre Elga zwar immer noch nicht die Lösung aller Probleme, aber doch ein maßgeblicher Schritt: eine Informationsbrücke zwischen zwei Systemen, die auch auf lange Sicht nicht zusammenführbar sind. (DER STANDARD; Printausgabe, 4.1.2012)