Eine, die sich weiter ins Land vorwagt als andere: Michelle Williams als Emily, die Heldin von "Meek's Cutoff", die sich als Stimme der Vernunft erweist.

Foto: Stadtkino

Wien - In den ersten paar Minuten von Kelly Reichardts Western Meek's Cutoff wird nichts gesprochen. Zu sehen ist jedoch vieles. Eine Karawane von drei Planwagen ist durch eine trockene, kaum bewachsene Steppenlandschaft unterwegs. An einem Fluss muss gestoppt werden, die Wasservorräte werden aufgefüllt. Irgendwann ist dann einer der Siedler zu sehen, der in einen dürren Ast ein einziges Wort einschnitzt: "lost" - verloren. Es ist das erste Zeichen einer Krise, die den restlichen Film bestimmen wird.

Reichardt, die erneut mit ihrem bevorzugten Autor Jon Raymond zusammengearbeitet hat, richtet ihren Blick auf den innerhalb des von Konflikten bestimmten Westerngenres gerne übersehenen Alltag der Pioniere. Doch die drei Familien, die Tetherows (Michelle Williams und Will Patton), die Gatelys (Paul Dano und Zoe Kazan) und die Whites (Shirley Henderson und Neal Huff), sind nicht am Ziel, sondern haben ihr "El Dorado" noch vor sich. Angeführt von ihrem großmauligen Führer Stephen Meek (Bruce Greenwood), dessen vermeintliche Abkürzung dem Film den Namen gibt, fahren sie 1845 ihrer neuen Heimat erst entgegen.

Wachsende Anspannung

Meek's Cutoff folgt dabei einer äußerst interessanten Logik der wachsenden Anspannung innerhalb der Truppe. Die Siedler misstrauen Meek, von dem sie annehmen, er habe sie mit Absicht in die Irre geführt, im Auftrag bereits sesshaft gewordener Bürger. Unter dem Sternenhimmel flüstert man sich zu, ihn eventuell hängen zu wollen. Ob Meek tatsächlich so ausgeschlafen ist, lässt der Film jedoch offen. Tatsächlich erscheint er vielmehr wie eine Verkörperung des Westernklischees, ein wuschelbärtiger Dampfplauderer, der gerne die Heldentaten von früher auspackt, um von seinen gegenwärtigen Unzulänglichkeiten abzulenken.

Ein charakteristischer Zug von früheren Filmen Reichardts, von Old Joy oder Wendy and Lucy, war es bereits, hinter nicht mehr tragfähigen Bildern, die gleichwohl zur amerikanischen Ikonografie gehören, eine Empfindsamkeit herauszuarbeiten, die diesen Bildern neue Kraft zuführt. In Meek's Cutoff kommt diese Rolle vor allem den Frauen zu, tatkräftigen, duldsamen, aber auch resoluten Persönlichkeiten, die sich ihr eigenes Urteil über die Dinge bilden. Vor allem die von Michelle Williams verkörperte Emily Tetherow steigt durch ihr skeptisches, aber kommunikatives Naturell immer mehr zur eigentlichen Protagonistin auf.

Dies ist nicht die einzige Korrektur, die Reichardt vornimmt, ohne die Perspektiven des Genres zu verdrehen. Das Bildformat, im traditionellen 4:3-Verhältnis, verweist auf klassisches Kino, was den Landschaftsaufnahmen von Chris Blauvelt, in denen der Film richtiggehend verankert scheint, eine malerische Qualität verleiht - Andrea Arnold hat sich für ihr "period piece" Wuthering Heights interessanterweise für die gleiche Bildgröße entschieden. Zeitgenössisch hingegen ist die Musik von Jeff Grace, die die Isolation und wachsende Verzweiflung der Siedler in der Wüste Oregons mit anschwellenden Flötentönen betont.

Eine Figur verdeutlicht Reichardts Abkehr vom romantisierenden Westernbild jedoch am trefflichsten: der Indianer vom Stamm der Cayuse (Rod Rondeaux), der die Siedler verfolgt, gefangengenommen wird, dann aber verschont wird und als Lotse aus der Verirrung Verwendung findet. Er verkörpert das Gegenteil des edlen Wilden, eine zutiefst ambivalente Figur, die offen für vielfältige Projektionen bleibt. Während Meek vor der Gefahr durch den Eingeborenen warnt, setzt Emily ihr Vertrauen in ihn.

Es ist dieser Konflikt, der den Anspruch des Films so schön zum Ausdruck bringt: Reichardt geht es um den Versuch, hinter den Archetypen eine Realität aufzudecken, in der sich eine Zivilisation erst erproben muss. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD - Printausgabe, 5./6. Jänner 2012)