Gerd Langguth ist Proffessor für für Politische Wissenschaft an der Universität Bonn und Biograf von Horst Köhler. Er ist CDU-nahe, war in den 70er-Jahren Bundestagsabgeordneter der CDU.

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derStandard.at: War das Interview, das der deutsche Bundespräsident Christan Wulff gestern zu seiner Verteidigung in der Kredit- und Medienaffäre gab ein Befreiungsschlag oder ein Bumerang?

Langguth: Weder noch. Er hat im Interview intensive Demutsgesten vorgenommen, was im Prinzip der richtige Ansatz war. Allerdings hat er das fast etwas übertrieben, zum Beispiel als er sagte, er hätte keine Vorbereitungszeit für das Amt des Bundespräsidenten gehabt. Entweder hat man das Format oder man hat es nicht. Aber alles in allem ist die Reaktion recht ordentlich. Der Druck auf ihn wird aber bestehen bleiben, weil ja einige Dinge noch aufgeklärt werden müssen. Auch die Opposition hat kein Interesse daran, dass die Affäre schnell beendet wird.

derStandard.at: Die deutschen Medien spotten, in Wulffs-Interview hätte es zu sehr gemenschelt, er habe kein Bundespräsidenten-Format bewiesen. 

Langguth: Dieses Interview war ja an die Bevölkerung gerichtet. Denn ein Bundespräsident ist dann stark und autonom, wenn er von der Bevölkerung angenommen wird. 

derStandard.at: Wulff sagt im Interview, er habe "nichts Unrechtes" getan. Das mag rein juristisch stimmen, aber politisch?

Langguth: Juristisch wird vermutlich nichts übrig bleiben, aber nicht alles, was ein Privatmann tun kann, sollte ein Politiker tun. Das große Problem beim Kredit war, dass er zunächst nicht den Mut hatte, bei der Fragestunde des niedersächsischen Landtages (als Ministerpräsident im Februar 2010, Anm.) die volle Wahrheit zu sagen. Dass jemand nach seiner Scheidung Geld benötigt, können viele Bürger und Bürgerinnen nachvollziehen. Er hat auch dem (Unternehmer und Ehemann der Kreditgeberin, Anm.) Egon Geerken keine geschäftlichen Vorteile verschafft. Der große Fehler war, dass er versuchte, die Tatsache des Privatkredits zu verbergen. Das Krisenmanagement danach war suboptimal.

derStandard.at: Was bedeutet die Affäre für Merkels Reputation?

Langguth: Das ist sicher kein gutes Zeugnis für ihre Auswahlqualitäten. Viele sagen, Köhler war ein Fehlgriff von ihr, jetzt auch noch Wulff. Die Lage der Koalition ist außerdem derzeit alles andere als ideal. Merkel hat kein Interesse daran, dass es bald zu einer neuen Bundespräsidentenwahl kommt. Zumal die Koalition nur eine knappe Mehrheit in der Bundesversammlung zur Wahl des Bundespräsidenten hat. Sie hat ihn mit Sicherheit ermuntert zu bleiben. Wenn man sie allerdings kennt - sie würde sich nicht mal in ein Ferienhaus einladen lassen - weiß man, dass sie einigen Wulffschen Aktivitäten mit ziemlicher Zurückhaltung gegenübersteht.

derStandard.at: Wer stünde denn überhaupt als Wulff-Nachfolger zur Debatte?

Langguth: Es gibt sicher eine ganze Reihe, die in einer Nachfolge-Diskussion genannt werden würden: zum Beispiel Wolfgang Schäuble oder Ursula von der Leyen oder Joachim Gauck (früherer Chef der Stasi-Unterlagenbehörde, Anm.) als überparteilicher Kandidat. Ich glaube aber, dass langsam allen klar wird, dass Wulff Bundespräsident bleiben wird.

derStandard.at: Sie gehen also davon aus, dass es - trotz anhaltendem Druck - keinen Rücktritt geben wird?

Langguth: Es ist nie ganz auszuschließen, dass noch was nachkommt. Aber Wulff hat einen Rücktritt ausgeschlossen und es gibt niemanden, der den Bundespräsidenten absetzen kann. Er ist der Mann mit der größten formalen Unabhängigkeit. (Der Bundespräsident kann nur - mit Zweidrittelmehrheit - seines Amtes enthoben werden, wenn er vorsätzlich die Verfassung oder ein Bundesgesetz verletzt, Anm.) (mhe, derStandard.at, 5.1.2012)