Kleine Frau mit großer Strahlkraft: Lisbeth Salander (Rooney Mara) lässt sich in "Verblendung" auch von ihrem rechtlichen Vormund (Yorick van Wageningen) nicht einschüchtern.

 

Foto: Sony

Drehte in Schweden: US-Regisseur David Fincher. Fincher, 49, ist einer der wichtigsten Hollywood-Regisseure seiner Generation. Er arbeitete bei George Lucas und drehte Musikvideos, der Durchbruch gelang ihm mit dem Thriller "Seven". Es folgten u. a. "Fight Club", "Zodiac" und zuletzt "The Social Network".

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Mit David Fincher sprach Dominik Kamalzadeh.

Wenn sich Hollywood unter dem Titel "The Girl With the Dragon Tattoo" / "Verblendung" mit Verspätung eines Bestsellers wie Stieg Larssons erstem Teil der Millennium-Trilogie annimmt, ist dies noch nicht weiter überraschend. Doch die Wahl von Regisseur David Fincher signalisiert die besonderen Ambitionen, die mit dem Projekt verbunden sind - hier soll ein Blockbuster auch einmal inszenatorisch überzeugen. Finchers Adaption, mit Daniel Craig und Rooney Mara in den Hauptrollen besetzt, merkt man die szenische Sorgfalt an: schick durchdesignt, aggressiver in der Darstellung der so populären Hackerin Lisbeth Salander, direkter und ungestümer in den Gewaltszenen als die schwedische Erstverfilmung, überzeugt der Thriller stilistisch - er müht sich jedoch ein wenig durch die vielen Clues und Verästelungen des Drehbuchs von Steven Zaillian.

Standard: Sie gelten als Regisseur, der ständig neue Herausforderungen sucht. Nun ist "Verblendung" Ihre erste Bestseller-Adaption, außerdem ein Remake. Lag der Reiz für Sie darin, dieser Welt Ihren Stempel aufzudrücken?

Fincher: Das Studio hat wohl an mich gedacht, weil ich einige Filme gemacht habe, in denen sich Menschen üble Dinge angetan haben. Als man mir das Projekt das erste Mal angeboten hat, sagte man, es ist einer dieser Lesben-Hacker-Noir-Serienmörder-Filme. Ich habe von Stieg Larsson zunächst gar nicht so viel wahrgenommen, von dem Buch habe ich natürlich gehört, ich wusste vom tragischen Tod des Autors. Aber mir war nicht klar, dass diese Charaktere so sehr geliebt werden ...

Standard: Ist es nicht spannend, mit dieser Imagination zu spielen?

Fincher: Um ehrlich zu sein: Es ging mir auf die Nerven. Lassen Sie mich es so sagen: Wenn ein Schauspieler Dracula spielt, dann hat jeder eine Idee davon, wie dies auszusehen hat. Interessanterweise waren die Leute beim Look von Lisbeth Salander besonders happig, weniger bei Blomkvist. Dabei ist er genauso zentral und schwierig zu besetzen.

Standard: Was ist denn so schwierig an ihm?

Fincher: Meine eigene Erfahrung mit Journalisten - und mein Vater war Journalist - ist, dass sie ein wenig wie eine Fliege auf der Wand sein müssen: Sie beobachten ständig alles und suchen Wege, die andere nicht beschritten haben. Blomkvist ist kein Detektiv, er stolpert in diese Geschichte eher hinein und durch sie hindurch. Daniel Craig musste für diesen Part einen gewissen Sinn für Humor besitzen.

Standard: Ist Blomkvist nicht auch ein Schauspieler - er muss sich ja gut verstellen können?

Fincher: Ich würde ihn eher als jemanden bezeichnen, der auf gerissene Weise manipulieren kann. Zugleich muss er Schlüsselmomente in seiner eigenen Geschichte übersehen haben, sonst hätte er nicht die Probleme bekommen, in denen er zu Beginn der Geschichte steckt. Er ist also jemand, der seine Lage neu überdenkt, er muss sein neues Ich demonstrieren. Die öffentliche Diskussion während der Produktion des Films beschränkte sich jedoch eher auf die Frage, ob Salander einen Irokesen haben wird.

Standard: Lisbeth Salander ist eben eine Figur, die viele Menschen fasziniert. Man hat sie als Goth-Version von Pippi Langstrumpf bezeichnet - ein Bild, mit dem Sie etwas anfangen können?

Fincher: Den Vergleich hat Rooney Mara in die Welt gesetzt, ich kenne Pippi Langstrumpf gar nicht so gut. Die Gothic-Subkultur ist für mich etwas, das längst in etwas anderes übergegangen ist - sie ist ein Mainstream-Phänomen.

Standard: Sie wurde ausgehöhlt?

Fincher: Ja, und alles, was sich zu schnell in eine Schublade stecken lässt, verliert seine Besonderheit, wird vage. Wir hatten das Buch und hielten uns daran, die Anhaltspunkte haben wir dann in den jeweiligen Milieus recherchiert. Ich sagte: "Lass uns Fotos machen und schauen, was die Mädels da so tragen." Und da man in Schweden im Winter keine Motorräder benutzen kann, fährt Lisbeth bei uns mit dem Bus oder nimmt den Zug. Wir wollten die Geschichte wirklich spezifisch erzählen.

Standard: Rooney Mara hat sich für die Rolle der Lisbeth sehr verändert. Betrachten Sie dies ein wenig als Ihre Schöpfung?

Fincher: Nein, es ist ganz ihr Verdienst, ich bin verantwortlich für den Film - wir haben ja nach jemandem gesucht, dem man das übertragen kann. Das Gleiche gilt für Martin Vanger, den Stellan Skarsgård spielt - man fragt sich, was trägt dieser Mann, ist er ein Cordsamt-Typ? Trägt er Sweaters oder Anzüge? Und dann gibt es jemanden, der das ausführt.

Standard: Das klingt, als wären Ihnen stoffliche Dinge sehr wichtig. Ihren Filmen merkt man generell die Konzentration auf Details an.

Fincher: Ich habe die Verantwortung dafür, was Sie zwei Stunden lang hören und sehen werden. In einem dunklen Raum. Ich muss also sicher gehen, speziell in einem Thriller mit Ablenkungsmanövern, dass Sie weiter zuschauen wollen und nach Clues Ausschau halten. Ich möchte, dass Sie denken: "Der agiert wie eine reale Person." Und die beste Art, dies umzusetzen, geschieht durch die Überlegung, was diese Protagonisten genau tun. Jedes Detail dieses Puzzles soll stimmen. Schauspieler müssen den Raum zwischen den Ideen auffüllen.

Standard: Was wiederum der Regisseur lenkt ...

Fincher: Der Regisseur macht das Gegenteil des Schauspielers. Ist dieser im Zentrum der Welt der Figur, ist es meine Aufgabe, alles zu kontextualisieren. Warum trägt Lisbeth ihr Haar an diesem Tag so? Weil sie zum Beispiel mit der U-Bahn fährt. Solche Entscheidungsprozesse sind zwar nicht der ganze Spaß am Filmemachen, aber doch ein Teil davon.

Standard: Ihre Filme sind sehr zeitgenössisch, aktuell - worin liegt diese Qualität bei "Verblendung"?

Fincher: Das wollte ich diesmal nicht überstrapazieren. Der Film dreht sich für mich um das Verhältnis von Blomkvist und Salander. Ich wollte ihre Welt glaubwürdig umsetzen, deshalb haben wir auch in Schweden gedreht - Lisbeth ist jemand, die kein Licht mag. Sie wechselt keine Glühbirnen aus. Es musste also ein dunkler Film werden, in dem ihr Computer der Brennpunkt ist.

Standard: Sie sehen Lisbeth nicht als Repräsentant der Anonymous-Bewegung - als Hackerin, die für ein Kollektiv kämpft?

Fincher: Lisbeth ist keine Superheldin, keine Anführerin. Sie kämpft um ihre eigene Stimme. Sie ist eine kleine Person, die einen Teil ihrer Würde zurückerkämpft. Deswegen ist sie für so viele so anziehend. (DER STANDARD, Printausgabe, 7./8.1.2012)