Divjak: Herr Edlinger, das Liechtenstein Museum hat ja überraschend mit Ende des eben vergangenen Jahres für immer seine Pforten geschlossen und ist somit für den Pöbel von nah und fern nur mehr Geschichte.

Ein anderes historisches Juwel hat man hingegen so ziemlich genau vor einem Jahr gleich zur Gänze abgerissen: den Wiener Südbahnhof, an dem der Ostblock jahrzehntelang schon inmitten der ehemaligen Kaiserstadt Einzug gehalten hatte.

Ihm und seiner Demolierung ist ein soeben erschienener und vom Architekten und Künstler Roman Bönsch gestalteter Bildband gewidmet, in dem sich sozusagen die Züge der Zeit verdichten. Da ragen Ruinen in den Himmel, lugen archäologische Funde ehemaliger historischer Anlagen hervor, und in der ehemaligen Kassenhalle trifft die Architektur der 1950er-Jahre auf neoliberale Corporate-Identity-Versatzstücke temporärer Dauerlösungseinbauelemente.

Und der Blick fällt auch auf so manches noch nie Gesehene, dem Durchschnittsfahrgast für gewöhnlich verborgen Gebliebene: Wer wohl aller in dem "Sondergastraum", der das Flair eines DDR-Bonzenbüros (freilich mit dem Miniaturrelief Österreichs an der marmorverkleideten Wand) Platz genommen hat? - Prächtige Tristesse allemal!

Warum bloß muss man immer die falschen Monumente abtragen? Die Zeit des Wiederaufbaus und der sogenannten Wirtschaftswunderjahre landet neuerdings immer öfter im Museum: für die Originallettern "Südbahnhof" hat, wie man hört, Tex Rubinowitz die Patenschaft übernommen - was auch immer das heißen mag. Sie prangen nun über dem Eingangsportal des Wien Museums.

Edlinger: Bei Bahnhöfen ist es doch zumindest in Wien so: Man weint denen nach, die abgerissen werden, und verdammt die, die neu- oder umgebaut werden. Ich kann mich an keinen als gelungen geltenden Bahnhofsumbau erinnern; überall wird der Verlust der historischen Großzügigkeit, die Vershoppingmallisierung und die Beschneidung des öffentlichen Raums kritisiert. Trotz der zugegeben tollen Bahnhofsrestaurantterrasse am Südbahnhof mit Blick auf den Schweizergarten habe ich dort aber oft ein Mehr an Privat vermisst - zum Beispiel eine private Taubenabschuss-Security, einen Kaffee, der mehr nach Triest als trist schmeckt, oder einen ordentlichen Zeitungsladen. Immerhin: Tschick gab es immer.

Eingedenk dessen fände ich ja ein neues Monument wider die Schleifung des Alten schön, und zwar ein "Denkmal für das unbekannte Raucherabteil". Am besten in Form eines Museums in Progress, sprich: als eine an den regulären Zugbetrieb angekoppelte Intervention im hoffentlich niemals untergehenden Gleisreich der ÖBB.   (Thomas Edlinger & Paul Divjak / DER STANDARD, Printausgabe, 7./8.1.2012)