In einer Tageszeitung der Mediaprint beschwört der Chefredakteur zum x-ten Mal deren Unabhängigkeit, um Seiten weiter im Rahmen einer Anlageberatung Raiffeisen empfehlen zu lassen.

Im größten Boulevardblatt und in der U-Bahn-Zeitung Heute erscheinen nach wie vor die Kolumnen des Wiener Kardinals. Dafür werden die Anliegen der Pfarrer-Initiative des Helmut Schüller fast nur aus der Sicht der Erzdiözese behandelt.

In einer Journalistenrunde wird seit Jahren "der beste Chefredakteur" gekürt, ohne dass es - als Grundlage - international herzeigbare Kriterien einer Bewertung gäbe. Dann wird der Gekürte gefeiert, und die Laudationes werden von renommierten Vertretern der Zunft gehalten, die sonst die reine Lehre der Objektivität vertreten.

Drei Beispiele von vielen über Sitten und Gebräuche in österreichischen Printmedien, die derzeit in unterschiedlicher Vehemenz die Vorgänge im ORF kritisieren.

Natürlich ist jedes dieser Beispiele anders gelagert als die parteipolitischen Schachzüge im Fernsehen. Aber sie haben eines gemeinsam: Es werden pausenlos Grundsätze des unabhängigen Journalismus verletzt. Noch schlimmer: Nach außen werden Prinzipien getrommelt, im Inneren wird gegen sie verstoßen. Das Ranking-Unwesen in den österreichischen Medien wird von den Machern selbst betrieben. Und die Redaktionen verhalten sich wie weiland Parteizeitungen. Statt auf "die Partei" wird halt auf "die Kirche" oder auf "die Bank" Rücksicht genommen. Die Schere im Kopf funktioniert.

Peter Huemer, der den Verführungen des österreichischen Mediensystems nie erlegen ist, hat in der Presse vor einigen Tagen gesagt: "Jedes Mal, wenn der ORF wirklich und endgültig entpolitisiert worden ist, war es nachher ein Stück schlimmer." Stimmt. Aber er vergisst einen wichtigen Aspekt. Eine Reihe von Medienmachern außerhalb des ORF sind in der Praxis um nichts besser als die Parteipolitiker. Und etliche honorige Persönlichkeiten lassen sich in dieses System hineinziehen.

Beispielsweise müsste der Caritas-Präsident und ORF-Stiftungsrat Franz Küberl viel vehementer gegen die Praktiken innerhalb und außerhalb des ORF auftreten. Tut er nicht, weil er Angst hat, er könnte damit der eigenen Organisation schaden. Er ist zum Sozial-Diplomaten mutiert und zum schaumgebremsten Sonntags-Talker.

Insofern ist der Fall Pelinka keine ORF-Affäre allein, sondern das Spiegelbild der Praxis der österreichischen Medien-VIPs überhaupt.

Der gesamten Branche würde eine offene und ehrliche Selbstanalyse guttun. Einige Fragen von vielen:

1. Verhalten sich die Printmedien in Werbe- und PR-Fragen nach gültigen Standards? Nicht ausreichend. Der Ethikrat hat viel zu tun.

2. Verkauft sich der Journalismus Stück für Stück? Ja. Jüngstes Beispiel: Die Verwandlung der Sportredaktion der Tageszeitung Die Presse in einen Dienstleister für Branchenfremde.

3. Sollte es für (sonst recht kritikfreudige) ORF-Journalisten Honorar-Obergrenzen für Moderationen geben? Ja, denn deren Höhe erreicht oft jene von Ärzten, die ihre Bekanntheit mithilfe staatlich finanzierter Strukturen erreichen. (DER STANDARD; Printausgabe, 9.1.2012)