Im neuen Jahr soll die Öffentlichkeit offensichtlich endgültig auf Steuererhöhungen im Namen der "Gerechtigkeit" vorbereitet werden. Etatisten und im Anspruchsdenken groß gewordene Politiker fordern mehr Steuergerechtigkeit durch "Lückenschluss" . Auch Stimmen der ÖVP beginnen sich am Wettbewerb der Steuererfindung zu beteiligen. Aus der Spardebatte ist eine Steuererhöhungsdebatte geworden, die sich in drei Punkten zusammenfassen lässt:

  •  Die Gesamtausgaben aller Gebietskörperschaften betragen derzeit rund 150 Milliarden Euro. Trotzdem hält die Mehrheit der österreichischen Politiker eine ausgabenseitige Budgetsanierung offensichtlich für nicht durchführbar.
  •  Wer bei den großen Ausgabenblöcken Familien, Gesundheit, Pensionen und Arbeitsmarktverwaltung die Dynamik der Ausgabenentwicklung durch Reformen bremsen will, wird umgehend mit dem Vorwurf des Sozialabbaues konfrontiert.
  •  Wer hingegen Steuererhöhungen für Reiche fordert, sieht sich bestärkt vom Boulevard als "Anwalt der Steuergerechtigkeit" .

Dass das österreichische Steuersystem insgesamt durch das Zusammenwirken hoher Mehrwertsteuersätze mit hohen Beitrags- und Progressionssätzen für kleine und mittlere Einkommen längst unsozial geworden ist, bleibt in der Debatte unerwähnt.

Und dass sich das steuerliche Lohnverrechnungssystem im Laufe der Jahrzehnte zu einem nur noch von Spezialisten administrierbaren "Unsystem" entwickelt hat, ist ebenfalls kein Thema. Dem mittleren Angestellten bleibt vom Bruttolohn derzeit ein Netto von 50 bis 60 Prozent, wobei die Kosten für diese Arbeitskraft aufgrund diverser Arbeitgeberabgaben tatsächlich 130 Prozent betragen!

Natürlich gibt es Lücken im Steuersystem, aber sie zu schließen muss mit einer Senkung der Steuertarife für kleine und mittlere Einkommen verknüpft werden. Wenn Österreich seine Wachstumschancen nutzen möchte, muss eine große Steuerreform - möglicherweise in zwei Etappen - in ein wirksames Budgetsanierungskonzept integriert werden.

Eine radikale Vereinfachung des Steuersystems sollte dabei zum integralen Bestandteil einer offensiven Sanierungsstrategie gemacht werden, weil sie Wachstum fördert, Steuervermeidung obsolet macht und dadurch zu Mehreinnahmen ohne Belastung führt.

Nachdem Österreich eine um vier Prozentpunkte (zwölf Milliarden Euro) höhere Staatsausgabenquote als Deutschland aufweist, kann es kein Problem sein, rund drei Prozent der Gesamtausgaben (4,5 Milliarden Euro) durch Strukturreformen "freizukämpfen" und für Budgetsanierung und Steuerreform zu verwenden.

Der Versuch, über ein weiteres Andrehen der Steuer- und Belastungsschraube das Budget nachhaltig zu sanieren, ist hingegen zum Scheitern verurteilt. Er würde uns zwar die höchste Abgabenquote der Geschichte, aber durch negative Auswirkungen auf Wachstum und Beschäftigung keinen gesunden Staatshaushalt bringen. Durch falschgestellte Weichen im Finanzausgleich kommen schon jetzt die Mehreinnahmen aus Abgabenerhöhungen zunehmend den Ländern zugute. Dort werden sie postwendend zur Triebfeder für neue Ausgaben. Überfällige Sparmaßnahmen unterbleiben.

Mehr Fairness schaffen

Auch wenn es viele österreichische Politiker nicht wahrhaben wollen: Der Weg zu einem budgetären Gleichgewicht führt über die Ausgabenseite der Budgets. Es genügt nicht, irgendwie bis April zwei Milliarden Euro "zusammenzukratzen" , sondern die Regierung ist gefordert, ein auf Strukturreformen basierendes Sparkonzept zu entwickeln, das die Zuwachsrate der Ausgaben für die nächsten fünf Jahre deutlich unter die BIP-Wachstumsrate senkt. Sparen durch Strukturreformen heißt, die politische Wirksamkeit von Maßnahmen nicht mehr in Ausgabensteigerungen, sondern outputorientiert in Aufgaben und deren Erfüllung zu messen. Ich bin überzeugt, dass bei Ausgaben von 60 Milliarden Euro für soziale Sicherheit durch Ausgabenumschichtungen, Bürokratieabbau und neue Schwerpunkte sogar mehr soziale Fairness erreicht werden kann. (Johannes Ditz, DER STANDARD; Printausgabe, 9.1.2012)